Percha/Icking:"Ich merke sofort, wenn etwas gut ist"

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Alinde Rothenfusser im Haus Orplid Isarland (Foto: Hartmut Pöstges)

Für die Tassilo-Kandidatin Alinde Rothenfußer ist Kunst das Wichtigste im Leben. Inzwischen hat sie drei Galerien und bleibt trotz schwerer Krankheit unermüdlich.

Von Thekla Krausseneck, Percha/Icking

Regen fällt auf den Rappen, der von der grünen Koppel aus den Kopf zur Haustür hinstreckt. Dort, auf der Schwelle, steht Alinde Rothenfußer, klein, schmal, mit rotblonden Locken, und freut sich - denn der Hengst schaut so neugierig wie nur ein Tier schauen kann, das sehr lange sehr wenig von der Welt gesehen hat, weil es eingesperrt war. Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass er von ganz ungewöhnlicher Engelskunst bezahlt wurde? "Verrückt", so nennt sich Alinde deswegen und lacht laut auf.

Alinde hat noch viel vor, mit der Kunst und mit dem Isarland, um das sie und ihr Mann, der Augenarzt Walter Rothenfußer, vor Gericht kämpfen. Die Frau in der ausgefallenen Kleidung, die immer einen afrikanischen Talisman um den Hals trägt und als Künstlerin nur mit ihrem Vornamen angesprochen wird, sitzt wenige Minuten später auf einem Stuhl in der Küche des Gestüts und lacht schon wieder. So viele Engelbilder habe sie in der Ickinger Galerie Hollerhaus verkauft, "und dabei verkauft man Engel doch nicht". Also habe sie den Erlös in das prachtvolle Grand-Prix-Pferd investiert, das wegen einer Verletzung am Fuß monatelang in einer Box eingesperrt worden war. "Die schlimmste Tierquälerei", sagt Alinde. Sie war nicht zu stoppen und schlug zu. "Wenn ich meine: Jetzt mache ich was, dann ist es schon aus. Dann bin ich schon weg vom Fenster."

Alinde hat sich mit unermüdlicher Arbeit einen Namen gemacht

Alinde ist eine zeitgenössische Künstlerin und vor allem Kunstförderin, die sich mit ihrer unermüdlichen Arbeit einen Namen gemacht hat. Drei Galerien mit dem gemeinsamen Namen Orplid hat Alinde, heute 75 Jahre alt, gegründet: die erste 1993 in Icking, die andere zwei Jahre später in Solln. Für die dritte hat sie - wie ein junges Reh - einen alten Getreidespeicher ausgeräumt, um zusammen mit den Künstlern Ruth Kohler und Hans Haas eine ausgeflippte Werkschau auf die Beine zu wuchten. So ist das Gestüt Isarland zu einem Ort für die klassische Moderne geworden. Eine Leistung, die gewürdigt wird. Der Kurator Elmar Zorn hält regelmäßig Vorträge auf Alindes Vernissagen, und Klaus Doldinger ist einer ihrer Stammgäste.

Seit Alinde im Stall gestürzt ist und sich den Schenkel gebrochen hat, muss sie im Wortsinn kürzer treten. Doch sie hat sich schon von Schlimmerem nicht aufhalten lassen. In ihrem Körper sitzt ein aggressiver Bauchspeicheldrüsenkrebs. "Aber ich bin schon fünf Jahre drüber. Eigentlich habe ich ihn überwunden", sagt Alinde und winkt ab: Der Krebs sei für sie ohnehin unwesentlich, für sie sei das Wichtigste die Kunst. Denn die lebe sie, mit jedem Atemzug, sagt Alinde, ganz nüchtern.

Mit ihrer Kunst will sie bewegen

Was Kunst für sie bedeutet, hat Alinde für sich längst definiert. Kunst ist: etwas bewegen, Menschen berühren, die Seele ergreifen und vor allem: Liebe. Wer sich die Zeit nimmt, ihre Kunst auf sich wirken zu lassen, der dringt in die Tiefen dieser Definition vor. Abfotografierten Metallflächen entlockt sie mit selbstsicherem Tuschestrich Gesichter, Linien, Formen und Figuren; Engel, Drachen oder andere Wesen, die sie im aufgeplatzten Rost entdeckt hat, dort, wo andere Menschen nur Müll sehen würden. Über ihre besondere Technik, die Alrografie - von Alinde Rothenfußer abgeleitet -, spricht die Künstlerin nicht. Technik sei unwichtig. Mit der Alrografie holt sie ihre eigenwillige Welt ins sichtbare Spektrum - sichtbar für jene, die sich berühren lassen. Wenn ihre Kunst nur einen Menschen berührt habe, sagt Alinde, habe sie schon etwas bewegt.

Zu bewegen gebe es auf der Welt eine Menge. Die Menschheit sei inzwischen so manipuliert, "dass es schlimmer bei den Nazis nicht war". Auch damals habe ja niemand etwas gewusst haben wollen. "Und so wird unsere ganze Welt ruiniert. Es geht nur ums Geld und die Macht." Umweltvergiftung, Waffenhandel, Spekulation; die Politik greife nicht präventiv ein, es gehe immer weiter und weiter. "Ich kann nicht genug schreien", sagt Alinde. Niederdrücken lassen dürfe man sich davon aber nicht; es tue sich doch immer ein Fenster auf, durch das Licht ins Dunkle falle.

In der Kunst wurde Alinde von ihrer Mutter gefördert, der Malerin Marta Sappel, später entwickelte sie sich unter Erich Glette und Bill Nagel weiter. Die Kunstakademie besuchte sie nicht; ihr Vater, Anton Sappel, war dagegen, da würde man sie nur verderben. Auch Sappel war ein Kenner: Er baute nach dem Krieg den Münchner Kunstverein wieder auf. Schon in ihren Zwanzigern stellte Alinde im Haus der Kunst aus, mit nur 24 Jahren übernahm sie die künstlerische Leitung des Kunstvereins. Das Gespür für die Kunst sei etwas, das ihr in die Wiege gelegt worden sei: "Ich merke sofort, wenn etwas gut ist."

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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