Münsing/Percha:Die Kunst des Jungbleibens

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Alinde Rothenfußer hat in einem früheren Getreidespeicher eine Galerie eingerichtet. Gemeinsam mit ihrer Malerkollegin und Freundin Ruth Kohler schafft sie dort täglich etwas Neues

Von Felicitas Amler, Münsing/Percha

Wunderbar, wie diese weiträumige, aber ungewöhnlich niedrige Galerie aus Beton widerhallt! Ruth Kohlers und Alinde Rothenfußers Lachen klingt hier immer noch ein-, zweimal nach. Und die beiden Künstlerinnen lachen viel und gern - fast so gern, wie sie miteinander streiten. Beide benutzen das Wort, das in anderer Leute Ohren unschön klingen mag. Für sie ist es das Beste, was ihnen passieren kann. "Dieser Raum hier regt wahnssinnig zu Diskussion und Streit an", schwärmt die 86-jährige Münsinger Malerin Ruth Kohler. Und schon lässt Alinde Rothenfußer wieder ihr lebenslustiges Lachen hören. Die 74-jährige Malerin, die unter dem Namen "Orplid" Galerien in Icking und Solln betreibt, ist seit Jahren schwer krank. Dass die Kunst viel, wenn nicht alles dazu beiträgt, sie am Leben zu halten, kann jeder sehen, der sie in ihrem Element erlebt.

Dieses Element ist seit Anfang des Jahres ein drittes "Orplid". Diesmal ist es eine Galerie mitten in der Natur, auf dem früheren Gestüt Isarland am Rande der Gemeinde Percha. Walter und Alinde Rothenfußer haben das 41 Hektar große Gelände mit den weitläufigen Ställen und Nebengebäuden vor zwei Jahren von der Landeshauptstadt München ersteigert - und bezahlt. Ein Konkurrent macht es ihnen dennoch streitig. Das für Laien kaum nachvollziehbare Gerichtsverfahren, in dem es um landwirtschaftliche Privilegien geht, zieht sich hin.

Alinde Rothenfußer aber hatte einen Traum, den sie noch erleben wollte: im Isarland ein Museum der Gegenwartskunst zu schaffen. "Das ist eben meine Vision", sagt sie. "Und das hier ist der Beginn davon." Der ehemalige Getreidespeicher, den sie unprätentiös in eine werkstattartige Galerie umgewandelt hat, umfasst 900 Quadratmeter Fläche auf drei Geschossen; nur das Dach wird nicht für Ausstellungen genutzt. Im Mai wurde im "Orplid in Isarland" die erste Ausstellung eröffnet. Sie läuft immer noch, und das wird sie bis 25. Oktober auch weiterhin tun. Das heißt: Genau dieselbe Ausstellung ist es nie.

Alinde Rothenfußer und Ruth Kohler verändern ständig etwas. Es scheint eine große Leidenschaft, eine Sucht ohne Nebenwirkungen zu sein, was die beiden Künstlerinnen da antreibt. Kohler sagt, mindestens einmal pro Woche fahre sie von Münsing ins Isarland, um eines ihrer großformatigen, farbstarken Werke um- oder ein neues dazuzuhängen. Rothenfußer scharrt bildlich gesprochen täglich mit den Hufen: "Ich komme zwei-, dreimal in der Woche - nein, eigentlich jeden Tag." Falls beide gleichzeitig in der Galerie sind, diskutieren sie miteinander, über Kunst natürlich. So wie jetzt. Kohler sagt beim Stichwort "Gegenwartskunst": "Ich fühle mich eher old fashioned." Warum? Weil im gegenwärtigen Kunstbetrieb Objekte, Videos und Performances angesagt seien, meint sie. "Aber ich male." Schon ist Alinde Rothenfußer, ebenfalls Malerin, anderer Meinung. "Das wäre ja noch schöner, wenn man sagen würde, was wir machen, ist nicht mehr in." Im Gegenteil, findet sie: "Wir fangen jetzt erst an!" Da lacht Ruth Kohler laut auf: "Mit 86!" Die Malerei gehe heute doch wieder mehr ins Gegenständliche, wendet die abstrakt arbeitende Künstlerin ein. "Vergiss es!", zischt Rothenfußer. Und sagt nun plötzlich einen Satz, über den sich beide anschließend kringelig lachen: "So ein Bild von dir passt ja auch in jede Einrichtung."

Farbe ist auch für Künstler Rudolf Kämmer ein zentrales Thema. (Foto: Felicitas Amler)

Neben den beiden jungen alten Frauen stellen noch Hans Haas mit seinen frech bemalten und verfremdeten Alltagsgegenständen und Rudolf Kämmer aus. Eine Arbeit des Münsinger Künstlers Kämmer, der ein wichtiger Vertreter der Konkreten Kunst ist, steht erst seit Kurzem in der Galerie. Farbe und Bewegung sind seine Themen. Kämmer hat daraus sogenannte Spielobjekte entwickelt. Manuell verstellbare Gebilde aus Quadraten, Kreisen oder bunt lackierten Stelen verändern ihr Aussehen, je nachdem, wie sie gedreht oder gesteckt werden. Im Orplid in Isarland sind es vier übermannshohe Stelen. Ob sie morgen noch am selben Fleck stehen?

Orplid in Isarland: "Kunst im Lagerhaus", Heimatshausen 1b, Percha; Samstag und Sonntag 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung, 0172/962 14 80

© SZ vom 20.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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