Konzertkritik:Der Klang des richtigen Gefühls

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Musik wie ein warmes Schaumbad: Der New Yorker Gastsolist Tim Collins am Vibraphon mit den Musikern des "Uptown Jazz Orchestra". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Musiker des "Uptown Jazz Orchestra" harmonieren im Tölzer Kursaal auch ohne sichtbare Leitung

Von Sabine Näher, Bad Tölz

Ein ungewohntes Bild: Tische in der vorderen Hälfte des Kursaals, an denen Getränke serviert werden. Sie verdrängen die übliche Reihenbestuhlung nach hinten und machen sofort klar: Hier steht ein lockerer Abend bevor. Doch The Uptown Jazz Orchestra hat nicht allzu viele Neugierige ins Kurhaus locken können. An den Tischen und in den Stuhlreihen wäre noch reichlich Platz. Aber bei denen, die gekommen sind, handelt es sich offensichtlich um echte Jazz-Fans, denn schon in der ersten Nummer wird jedes Solo ausgiebig beklatscht. Den klassischen Konzertgänger verstört diese Gepflogenheit immer wieder aufs Neue; gilt doch hier bereits ein Klatschen zwischen den Sätzen als grobe Unhöflichkeit.

Was ebenfalls verwirrt: Vor der fulminant aufspielenden Truppe steht kein Band-Leader, obwohl Franz Weyerer als solcher angekündigt ist. Der sitzt derweil lieber oben in der vorletzten Reihe und spielt Trompete. Wie das mit den Einsätzen, den Tempi und dynamischen Abstufungen funktioniert, erschließt sich nicht. Zwar spielen auch Ensembles der Alten Musik dem historischen Vorbild gemäß zunehmend ohne den (erst in der Romantik aufgekommenen) Dirigenten, aber dann hat der Konzertmeister links vorne am ersten Pult oder der Cembalist, dann ebenfalls gut sichtbar platziert, die Leitung inne. Doch ein Trompeter, irgendwo oben, also hinter den meisten Musikern? Offensichtlich läuft hier viel über das richtige Gefühl - und ein gutes Gedächtnis an vorher getroffene Absprachen.

Das bestätigt das Klischee, beim Jazz komme es vor allem auf das richtige Feeling an. Widerlegt wird hingegen das lange gültige Vorurteil, nur schwarze Musiker könnten dieses aufbringen. Denn beim Solo-Wechsel zwischen einem dunkelhäutigen Saxophonisten und seinen europäischen Kollegen gibt es wirklich keinen Unterschied. Diesen unglaublich lässigen Sound, der einst aus Übersee auf unseren Kontinent hinüber schwappte, haben sie mittlerweile alle drauf. So lassen sie im Zuschauerraum die Füße wippen und Köpfe nicken. Und die Zuhörer relaxen wie im warmen Schaumbad.

Der Leader und Trompetensolist Franz Weyerer ist auch für die Moderation zuständig, kämpft bei den ersten Nummern aber mit dem Einschaltmechanismus des Mikrophons. Als es dann klappt, redet er immer schon in den Applaus hinein, so dass man leider nichts mehr versteht. Aber die Musik spricht ja für sich! Auch anders als im Sinfoniekonzert: Die pausierenden Musiker gehen mit dem Solo eines Kollegen voll mit - und ab.

Gleichwohl gibt es auch noch einen "richtigen" Solisten, einen, der nicht aus dem Orchester kommt, sondern als Gast hinzu tritt: Tim Collins aus New York City, wie Weyerer hörbar stolz verkündet. Der Vibraphonist lässt seine Schlägel bewundernswert virtuos tanzen. Sein bordeauxrotes Hemd bildet zudem einen schönen Kontrast zur schwarz-weißen Pinguinfraktion des Orchesters. Und der metallisch gläserne, ein wenig kalt und zugleich wie fragil wirkende Klang seines Instruments erzeugt eine spannende neue Farbe. Bei Collins' Nummern überlässt es Weyerer dem Stargast, den Takt einzuzählen. So kann dieser genau das Tempo vorgeben, das ihm behagt.

Die zweite, sehr tänzerisch bewegte Nummer, die dem Zuhörer regelrecht in die Beine fährt, klopft er anschaulich mit den Schlägeln ein. Dann hat das Schlagzeug sein Solo, das die Wände wackeln lässt, bis sich das Vibraphon wieder einklinkt.

Eine Ballade von John Coltrane folgt als zart schwebendes, träumerisches Stück, das einen so einlullenden Sound entfaltet, dass der (zwar angebrachte, aber gleichwohl unsensible) Zwischenapplaus für das überaus zarte Vibraphonsolo den versunkenen Hörer aufschreckt. Doch Collins beherrscht auch den Umgang mit dem Schlagzeug, während der bisherige Schlagzeuger zum Sänger mutiert. Dieser fällt mit seinem Satinanzug, der rot-schwarzen Krawatte und der Schiebermütze optisch voll aus dem Rahmen. Ein cooler Typ, der ganz entspannt mit der Stimme umzugehen weiß.

"Das nächste Stück kennen Sie alle", kündigt Bandleader Weyerer dann an. Es dauert allerdings eine ganze Weile, bis man in diesem soften, verspielten Arrangement "Mackie Messer" erkennt. Was wohl der Komponist Kurt Weill dazu gesagt hätte? Zum wirklich messerscharfen Text Berthold Brechts passt diese Musik jedenfalls nicht.

© SZ vom 20.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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