Integrationsabend in Wolfratshausen:"Danke für alles. Wir sind glücklich hier"

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Im Pfarrheim von St. Andreas erzählen Flüchtlinge vom Alltag in ihrer neuen Heimat. Erst sind die 80 Besucher ein wenig schüchtern, aber Spiele und ein Film lösen die Stimmung

Von Melanie Kraus, Wolfratshausen

Stimmengewirr hallt durch den Raum, zwischen deutsche Sätze mischen sich unbekannte Sprachen, es riecht nach frittiertem Essen. Hassan, ein junger Mann im Anzug und mit Krawatte begrüßt die Gäste mit einem freundlichen Lächeln an der Eingangstür und führt sie ins katholische Pfarrheim St. Andreas. Dort ist ein Buffet mit orientalischen Speisen aufgebaut, vor der Bühne stehen Stühle in einer langen Reihe und zwischen den rund 80 Gästen spielen Kinder ausgelassen Fangen. Auch Stadträtin Gerlinde Berchtold (SPD) und der evangelische Pfarrer Florian Gruber sind gekommen.

Ein Gong ertönt, alle richten ihren Blick auf Ines Lobenstein, die Koordinatorin des Asylhelferkreises Wolfratshausen. Zusammen mit ihren Kolleginnen Gisela Weber-Grunwald und Ute Mitschke, Katharina Schröter und Brandon Morrell von der Asylsozialberatung des Vereins Hilfe von Mensch zu Mensch und Anika Dollinger von der Stadt Wolfratshausen hat sie einen Abend organisiert, an dem sich Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen begegnen können. "Alltag in der neuen Heimat - Flüchtlinge aus Wolfratshausen erzählen" lautet der Titel der Veranstaltung.

Geschätzt zwei Drittel der Anwesenden sind Männer und Frauen aus dem Nahen Osten, daran könne man erkennen, "wie interessiert unsere neuen Mitbürger an Integration sind", sagt Lobenstein und bemerkt in einem Nebensatz, wie schade sie es fände, dass Deutsche das eher nicht zu sein scheinen. Der Abend beginnt mit einer kurzen Begrüßung der Gastgeberinnen, die auch auf Arabisch und Syrisch übersetzt wird.

Weiter geht es mit Gesprächsrunden, in denen sich Flüchtlinge und Deutsche gemeinsam an einen Tisch setzen, um sich auszutauschen. Danach wird ein kurzer Film gezeigt - ein Zusammenschnitt aus mehreren Szenen der Integrationskomödie "Willkommen bei den Hartmanns", der veranschaulicht, welch komische Situationen entstehen können, wenn unterschiedliche Welten aufeinander prallen.

Um die Stimmung aufzulockern, gibt es vor den Gesprächsrunden ein Spiel: Ute Mitschke stellt Fragen, und alle müssen sich - je nach Antwort - entweder links oder rechts im Raum aufstellen. So erfahren die Gäste beispielsweise, dass nur sechs von ihnen gebürtige Wolfratshauser sind, dafür aber der Großteil eine kleinere Schuhgröße als 39 trägt. "Wir wollen zeigen, dass wir bei all den Unterschieden auch vieles gemeinsam haben", sagt Mitschke nach dem Spiel.

Auf den Tischen liegen sowohl Karten mit Themenvorschlägen als auch Würfel, deren Seiten mit verschiedenen Fragen beklebt sind. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Stimmung unter den Gästen wirkt danach gelöst. Besonders die Älteren, die zuvor noch sehr schüchtern erschienen, lachen viel und haben trotz der Sprachbarriere sichtlich Freude am Austausch. Für das Buffet haben die Flüchtlinge alle Speisen selbst gemacht. Da gibt es zum Beispiel arabische Teigfladen, die mit Schafskäse, Spinat oder Huhn gefüllt sind, oder Süßspeisen wie Kunafa, das in seinem Aussehen an Tiramisu erinnert, aber aus Quark, Mandeln, Walnüssen und Zuckersirup besteht.

Falls es dennoch schwer fallen sollte, ins Gespräch zu kommen, haben sich die Gastgeberinnen etwas einfallen lassen: Auf den fünf Tischen liegen sowohl Karten mit Themenvorschlägen als auch Würfel, deren Seiten mit verschiedenen Fragen beklebt sind. Außerdem gibt es an jeden Tisch mindestens einen "Gastgeber" aus den Reihen der Flüchtlinge, der bereits besonders gut Deutsch spricht. Wie beispielsweise die junge Afghanin Aräsü, die davon träumt, eine Ausbildung zur Kosmetikerin zu machen. Sie ist seit drei Jahren in Deutschland, mittlerweile ein anerkannter Flüchtling und lebt mit ihren zwei Töchtern, die elf und acht Jahre alt sind, in einer eigenen Wohnung in Wolfratshausen.

Deutsch lernt sie täglich in einem Integrationskurs, der vier Stunden dauert. Er dauert ein halbes Jahr. "Sechs Monate sind sehr wenig", sagt die 27-Jährige, "Deutsch ist eine sehr schwere Sprache, und manchmal sitze ich und weine deswegen." Die junge Frau hat während der 25 Jahre, die sie in Afghanistan lebte, nur zwei Jahre die Schule besucht. Sie sei sehr traurig darüber, dass sie nur so kurz Deutsch lernen dürfe, erklärt sie weiter. Allerdings gebe es die Möglichkeit, nach dem offiziellen Sprachkurs noch einen zu besuchen, der von ehrenamtlichen Helfern gegeben würde, und das wolle sie gerne tun.

Deutschland sei allerdings sehr gut, besonders für Frauen. "Ich darf hier arbeiten, lernen, alleine auf die Straße gehen, und das ohne Kopftuch, und Musik hören und tanzen", sagt Aräsü. In ihrem Gesicht spiegeln sich dabei ehrliche Freude und Erleichterung. Das alles sei den Frauen in Afghanistan nämlich nur am Tag der Hochzeit erlaubt - danach nicht mehr.

Neben Aräsü sitzt Mohamad am Tisch - ein 35-jähriger Familienvater aus Syrien. Er sei seit knapp zwei Jahren in Deutschland, erzählt er, und habe seine Heimat verlassen müssen, um den Strafen zu entgehen, die ihm als Kriegsdienstverweigerer drohten. Wer nicht kämpfen wolle, könne mit bis zu fünf Jahren Gefängnis, beziehungsweise Internierung, bestraft werden. Mohamads Eltern sind noch in Syrien, in Aleppo. "Mein Kopf ist immer dort", sagt er, "aber die Zukunft ist hier, in Deutschland." Sein Traum sei es, trotz allem wieder nach Aleppo zu reisen und auch, wieder dorthin zurückzukehren, sobald wieder Frieden herrscht.

In Gesprächsrunden lernen sich alteingesessene und neue Wolfratshauser kennen. Stadträtin Berchtold lobt den "absoluten Integrationswillen" der Flüchtlinge. (Foto: Hartmut Pöstges)

In Deutschland sei er "sehr zufrieden", wie er sagt. Und das selbst, obwohl er sich oft darüber wundere, dass man "alles mit Plan machen muss - den nächsten Tag, die nächste Woche oder das nächste Jahr". Daheim in Syrien war er Ingenieur, hat studiert und einen guten Job gehabt. Hier wurde ihm zwar sein Studium anerkannt, allerdings müsse er noch ein halbjähriges Praktikum absolvieren, um auch seinen Berufsstand anerkannt zu bekommen.

"Der Schlüssel für das Leben in Deutschland ist die Sprache. Danach wünsche ich mir, eine gute Arbeit zu bekommen. Entweder im Büro programmieren oder Elektronik reparieren", beschreibt der 35-Jährige seine Zukunftspläne. Im März sei sein zweites Kind auf die Welt gekommen, und Mohamad freue sich darüber, dass es Deutschland als seine Heimat kennenlernen wird. Er selbst werde immer in Syrien verwurzelt sein.

Nach den Gesprächsrunden, für die an jedem Tisch fünf mal zehn Minuten mit anschließendem Wechsel vorgesehen waren, kommen alle Gäste noch einmal in einem Kreis zusammen, um eine Rückmeldung zur Veranstaltung zu geben. Die Stimmen sind durchweg positiv, "niemand hat sich gescheut, es war viel lockerer, näher und privater, als sich ein Gespräch sonst je ergeben würde", heißt es aus dem deutschen Publikum. Auch von Seiten der Flüchtlinge sind die Reaktionen freudig. Die Fragen der Deutschen seien in Ordnung gewesen, und man habe sich gut verstanden, sagt ein junges Mädchen. "Die Veranstaltung war sehr gut, um Freunde zu finden, und wir haben uns gegenseitig beim Sprechen und Verstehen geholfen", zieht Hassan, der junge Mann in Anzug und Krawatte, Resümee. Auch die Stadträtin Gerlinde Berchtold spricht begeistert von der "Herzlichkeit und dem positiven Denken, was absoluten Integrationswillen beweist".

Der Abend endet mit den Meldungen von Mohamad und einem weiteren jungen Mann, die sich beide herzlich bei den Wolfratshausern bedanken. "Deutsche Leute sollen auch sehen, dass wir um unsere Chancen kämpfen und Zukunft haben", heißt es da. Ines Lobenstein ergänzt noch, dass den Deutschen im Rahmen der Veranstaltung keine "ausgesuchten Flüchtlinge" präsentiert worden seien, also jene, die bereits sehr gut Deutsch sprächen. Denn die Neugierde unter den anderen, auch Älteren, sei derart groß gewesen, dass einfach alle gekommen wären, die Zeit und Lust hatten. Bevor alle Gäste ihre Stühle aufräumen und wieder nach Hause gehen, steht Mohamad auf: "Danke für alles. Wir sind glücklich hier. Wir wollen euch nicht nur zur Last fallen."

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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