Grausame Geschichte:Hier wurden sie gehängt

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In der Penzberger Mordnacht bringen die Nazis 16 Menschen um. Zeuge Peter Brunner berichtet davon. Auch die Gegenwart macht ihm Angst.

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Peter Brunner ist zufrieden mit seinem Leben. Er hat ein schönes Haus in Föching bei Holzkirchen, eine Familie und mit seinen 84 Jahren treibt er immer noch Sport. Er könnte sich zurücklehnen, die Tage genießen. Aber eines lässt den gebürtigen Penzberger nicht ruhen: "Ich hoffe, ich bekomme die Antwort auf die Frage, ehe ich sterbe: Warum werden Menschen zu Mördern?" Dieser Zwang, verstehen zu müssen, warum "biedere, einfache Leute" solch Unrecht begehen, kommt nicht von ungefähr. Mit 14 Jahren wurde Peter Brunner Zeuge der "Penzberger Mordnacht". Am 28. April 1945 wurden in der oberbayerischen Bergarbeiterstadt 16 Frauen und Männer sowie ein ungeborenes Kind in den letzten Kriegstagen von der Wehrmacht und der SS-Einheit "Werwolf Oberbayern" hingerichtet. Seine Erinnerungen hat Brunner 2003 im Tatsachen-Roman "Der Judas-Tag" veröffentlicht.

Brunner ist ein Kind des alten Penzberg. Aufgewachsen als Sohn eines Bergmanns in einer Bergarbeitersiedlung im Ortsteil Heinz. "Zu sechst auf 40 Quadratmetern", erinnert er sich. Wenn die Männer nach der Schicht zusammenkamen und politisierten, habe er als "aufmerksames Kind" zugehört, was sie, "allesamt Sozialdemokraten und Kommunisten", erzählten. So habe er eine "irrsinnige Antipathie gegen das System Hitler" entwickelt.

An jenem 28. April 1945 sei er für seinen Vater ins Zentrum gelaufen, um Zigaretten zu holen. Vor dem Rathaus stand eine Menschenmenge. Warum sich die Leute dort versammelten, wusste er nicht. "Ich musste wegen der Zigaretten nach Hause." Später erreichte seine Familie die Nachricht, dass Hans Rummer eingesperrt worden sei. Nachdem die "Freiheitsaktion Bayern" über Rundfunk verkündet hatte, der Krieg sei beendet, wollte der frühere SPD-Bürgermeister Rummer die Sprengung des Bergwerks verhindern und die Geschäfte im Rathaus übernehmen. Das wurde vom Werferregiment 22 vereitelt. Rummer und seine Mitstreiter wurden noch am selben Tag gegen 18 Uhr erschossen. Später stieß eine Werwolf-Einheit dazu. Das Morden ging weiter.

In den 50er-Jahren hat der Fotograf Alfred Strobel Aufnahmen mit Überlebenden und Angehörigen der "Penzberger Mordnacht" gemacht. (Foto: Alfred Strobel)

In Brunners Siedlung wohnten viele Sozialdemokraten und Kommunisten - sie beschlossen, sich zu verstecken. "In der Ferne hörten wir da schon das Kanonenfeuer der Amerikaner", erzählt der 84-Jährige. Als es dunkel wurde, "es könnte so halb acht, acht gewesen sein", drangen mehrere Männer mit Gewehren in die Wohnung eines Nachbarn gegenüber ein. "Er und seine Frau waren nicht zu Hause. Damals dachte ich mir: Woher wussten die, wo der wohnt?" Die Bewaffneten wurden nicht fündig. Mit den Worten "Den könnt ihr morgen am Haus hängen sehen" seien sie abgezogen. Später habe er Schüsse gehört.

Tags darauf habe sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass neun Frauen und Männer erhängt worden seien. "Die Stricke waren noch da." Und dass beim Fußballplatz Rummer mit sechs anderen erschossen worden war. "Unvorstellbar", "erschütternd", "fassungslos", kommentiert Brunner. Es ist das Trauma seiner Kindheit, das ihn bis heute verfolgt: Fanatische Nazis denunzieren ehemalige Schulfreunde und Arbeitskollegen, die deshalb exekutiert werden, weil andere Penzberger sie als "unzuverlässig" bezeichnen.

Umso mehr drängte sich dem Jungen von damals die Frage auf, warum in Penzberg nach den schrecklichen Morden das Leben wie gewohnt weiterlief. "Es waren bekannte und beliebte Menschen, die getötet worden waren. Aber richtig betroffen waren nur die Familien und Freunde." Mag sein, sinniert Brunner, dass viele ihre eigenen Sorgen in jenen Kriegsjahren gehabt hätten. Aber ihn habe es schockiert, dass es über die Opfer geheißen habe: "Hätten sie ihren Mund gehalten, wäre ihnen nichts passiert. Warum konnten sie nicht warten."Als ob alles Recht weggespült worden sei. Diese "unendliche Schweinerei" errege ihn bis heute, sagt er. Deshalb freue er sich, wenn er als Zeitzeuge über die Penzberger Mordnacht und seine Recherchen dazu berichten könne. Brunner sieht es als seine Mission an, gerade junge Leute aufzurütteln. "Passt auf, dass sich so etwas nicht wiederholt", sage er ihnen. Besonders in dieser Zeit, wo es einer politischen Gruppierung wie der "Alternative für Deutschland" (AfD) gelinge, in Parlamente einzuziehen. "Das macht mir Angst und ich fühle mich von der Politik allein gelassen."

Brunner hat sich in Rage geredet. Er zitiert Bertold Brecht: "Der Schoß ist noch fruchtbar noch, aus dem das kroch." Und er mahnt, dass ein Mensch, der denken könne und an das Recht glaube, doch verrückt werden müsse angesichts von solchem Unrecht. Er habe immer viel gelesen, sich Wissen angeeignet. Bis zur vierten Klasse besuchte er die Volksschule in Penzberg, anschließend das Gymnasium in Weilheim. Zuerst arbeitete er in der Landwirtschaft. Bei 30 Grad Hitze Unkraut aus dem Acker zu rupfen sei für ihn "zum Verblöden" gewesen. Im Bergwerk ging es ihm ähnlich. Er habe Muskeln bekommen, "aber kein Hirn". Er bewarb sich bei der Süddeutschen Knappschaft, wurde Experte für Rentenrecht. Mit Ende 20 war Brunner Regierungsinspektor. Er strebte nach mehr, wechselte zu einer Versicherungsgesellschaft und arbeitete sich hoch. 1993 wollte er nicht mehr. Er war zum zweiten Mal verheiratet und hatte mit 55 noch einen Sohn bekommen. "Das war es", sagt er über sein Leben.

Nur eines, das könne er nicht auf sich beruhen lassen: "Dass Menschen Beihilfe zum Mord leisten. Nichts anderes war es in Penzberg. Das darf doch nicht sein."

"Der Judas-Tag - Betrachtungen über die Penzberger Mordnacht" mit Peter Brunner, Freitag, 1. April, 19 Uhr, im Rot-Kreuz-Haus, Winterstraße 4, in Penzberg; Eintritt: zwei Euro.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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