Baierbrunn:Nach menschlichem Maß

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Das denkmalgeschützte Haus samt Atelier des Bildhauers Lothar Fischer ist Sinnbild für die Künstlervillen im Isartal. Das Gebäude, das früher auch einmal ein Erholungsheim für Künstlerinnen war, bewohnt heute noch seine Frau Christel.

Von Bernhard Lohr, Baierbrunn

Es war eine Verrücktheit. Keine Frage. Sie hätten weiterblättern müssen im Immobilienteil der Zeitung. Eine "Künstlervilla im Isartal". Das gab das Budget nicht her. Doch Lothar und Christel Fischer hatten bei ihrer Suche nach dem Häuschen fürs Leben so viele frustrierende Erlebnisse hinter sich, dass sie im Jahr 1979 über ihren Schatten sprangen. "Leisten können wir uns das nicht, aber schauen wir uns das mal an, damit wir auch was Schönes sehen." So gibt die heute 81-jährige Christel Fischer ihre damaligen Gedanken wieder. In der Rückschau erscheint das fast schicksalhaft. Als hätte sich Haus und Bewohner gesucht.

Lothar Fischer und seine Frau waren damals nicht reich. Einen Namen freilich hatte der Mitbegründer der Gruppe Spur in der Kunstszene längst. Er war Stipendiat der Villa Massimo in Rom gewesen und hatte seit Mitte der Siebzigerjahre eine Professur an der Hochschule der Künste in Berlin inne. In München lebten sie in den Semesterferien beengt in einer Wohnung in der Au. Den Traum von einem Haus erfüllten sie sich in Baierbrunn. 1995 bauten sie in moderner Betonoptik ein Atelier an. 2004 starb Fischer 70-jährig. Seitdem lebt seine Frau in dem Haus, in dem ihr Mann Lothar präsent ist, als könnte er jeden Moment den Raum betreten. Es ist ihr beider Haus, bis heute: "Das hat so sein sollen, das hat sich irgendwie so gefügt", sagt sie.

"Ich fühle mich hier sehr wohl."

Es ist auch mit modernem Anbau ein kleines Haus, in dem sich bei einem Rundgang jeden Moment reizvolle Ecken auftun; der Skulpturenhof am Eingang, mit den typischen schlanken Fischer-Figuren und einer Bank mit Tischchen, die zum Hinsetzen einladen; dann der lichte Eingangsbereich mit Couch und Blick ins Grüne - die Laube unter der Glyzinie, der Skulpturengarten und natürlich das schmale, hohe Atelier, in dem Fischer noch fast zehn Jahre arbeitete. An der Treppe zum Atelier: ein Regal mit Kleinskulpturen, und eins mit Schallplatten: Musik von Anton Bruckner, Johann Sebastian Bach, Lothar Fischer liebte Kammermusik. Geschmackvoll ist das alles: "Das habe ich oft gehört", sagt dann Christel Fischer, "ich fühle mich hier auch sehr wohl." Es sei auch "nicht überdimensioniert" - alles habe ein "menschliches Maß".

Den Blick für das richtige Maß, das Auge dafür, was für ein Haus dort an den Abhang zum Geudergraben hinpasst, der weiter zur Isar runter führt, hatte 1904 der Kaufmann Philipp Kohnstamm. Er erwarb das Grundstück und ließ die Jugendstilvilla errichten, an die er zwei Jahre später etwa ein Atelier für seine Frau anbauen ließ, die nach Christel Fischers Wissen dort Keramiken fertigte. Im Jahr 1925 ging das Haus an Elfriede Kohnstamm-Lafter über, an die heute eine Bronzetafel am Gebäude erinnert. Sie war Gründerin des Künstlerinnen-Hilfsvereins, der von 1930 an als Eigentümer das Haus als Erholungsheim für Künstlerinnen nutzte. Christel Fischer weiß von Berichten aus dieser Zeit. "Es muss hier sehr fröhlich zugegangen sein." Die Künstlerinnen hätten separate Zimmer bewohnt, die mit eigenem Wasseranschluss versehen gewesen seien. Bei gemeinsame Ausstellungen im Haus hätten sie ihre an Wäscheleinen aufgehängten Bilder gezeigt. Auch in der Schule in Baierbrunn habe es Ausstellungen gegeben.

Viele Künstlerkollegen waren zu Gast

Als im Jahr 1979 Christel Fischer mit ihrem Mann nach Baierbrunn fuhr, um sich die "Künstlervilla" anzuschauen, empfing sie ein Anwalt, der mittlerweile dort wohnte und verkaufen wollte. Dass er es mit Künstlern zu tun hatte, erleichterte ihm die Entscheidung. Man kam überein, und mit dem Ehepaar Fischer zogen wieder die Kreativen dort ein. Es wurde ein offenes, ein belebtes Haus. Künstlerkollegen wie der Bildhauer Alf Lechner waren zu Gast, Kuratoren und Galeristen gingen ein und aus. Das im Jahr 2008 unter Denkmalschutz gestellte Haus gilt heute als Sinnbild für viele Häuser von Künstlern im Isartal, die es von Mitte des 19. Jahrhunderts an raus aufs Land zog. Die ebenfalls gut 100 Jahre alte Backsteinvilla des Malers Ferdinand Coppenrath steht ein Eck weiter und ist auch denkmalgeschützt.

Christel Fischer und ihr Mann erlebten die politisch und intellektuell spannenden Sechziger- und Siebzigerjahre in den Künstlerkreisen der Metropolen. Die Stadt seiner Kindheit und Jugend, Neumarkt in der Oberpfalz, errichtete noch zu Fischers Lebzeiten ein Lothar-Fischer-Museum. Seinen Lebensmittelpunkt aber fanden er und seine Frau am Ende im Münchner Süden. Diese verwaltet heute von dort sein Erbe. Vor ihrem Schreibtisch steht die letzte Skulptur, die Fischer 2004 bearbeitete. Eine schreitende Frau. Es könnte Christel Fischer sein, die ihren Ort gefunden hat und von dort aus ins Leben hinausgeht. Einer ihrer Lieblingsplätze: im Skulpturengarten, wo sich zwischen den beiden Teilen der Skulptur "Gegenüberliegendes Paar" der Blick ins Grüne öffnet. "Der Platz ist so toll", sagt sie, "dahinter beginnt die Natur."

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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