SZ-Schulratgeber:"Gelassenheit und Offenheit sind zentral"

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Schulpsychologin Charlotte Hälbig-Zuber. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Charlotte Hälbig-Zuber, leitende Schulpsychologin des Tölzer Schulamts, erklärt, wie Eltern mit der Entscheidung für eine weiterführende Schule umgehen können. Ihr geht es darum, die Belastung der Familien zu verringern.

Von Deborah Berger und Kristina Kreisel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Im Mai erhalten landkreisweit 1131 Grundschüler der vierten Klassen ihr Übertrittszeugnis. Mit dem Zeugnis sind viele Hoffnungen verbunden. Aber auch großer Druck geht damit einher. Charlotte Hälbig-Zuber betreut als leitende Schulpsychologin des Tölzer Schulamts mit ihren vier weiteren Kolleginnen alle Grundschulen im Landkreis. Mit der SZ spricht sie über Erwartungen, Leistungsdruck und die richtige Perspektive.

SZ: Die Übertrittszeugnisse nahen. Wie sieht es in einem Viertklässler momentan aus?

Charlotte Hälbig-Zuber: Der Übertritt ist in den meisten Fällen mit großem Druck verbunden. Das beginnt häufig schon in der dritten Klasse. Manche Kinder belastet das mehr, manche weniger.

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Woher kommt dieser Druck?

Oft liegt es an der Erwartungshaltung der Eltern. Aber auch die Kinder selbst setzen sich unter Druck, weil sie zum Beispiel dem Geschwisterkind, das bereits eine weiterführende Schule besucht, nacheifern wollen. Viele Kinder wollen auch unbedingt die gleiche Schule besuchen wie die beste Freundin oder der beste Freund, um die Freundschaftsbeziehungen aufrecht zu erhalten.

Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?

Gelassenheit und Offenheit sind zentral. Für die Eltern ist im ersten Schritt wichtig, keine allzugroßen Sorgen vor dem Übertritt zu entwickeln und selbst gelassener mit dem Thema umzugehen. In diesem frühen Alter kann durch die Wahl der weiterführenden Schulart nicht die ganze Zukunft eines Kindes prognostiziert werden. Die Zukunftsperspektive eines Kindes kann und darf nicht allein nach der vierten Klasse entschieden werden. Im zweiten Schritt geht es darum, offen gegenüber alternativen Wegen zu werden.

Was bedeutet das?

Es geht darum, die individuellen Stärken und Schwächen des Kindes zu erkennen und zu akzeptieren. Wie ein Kind mit Rückschlägen umgeht und inwiefern es emotional belastbar ist, spielt eine erhebliche Rolle bei der Wahl der Schulart. Ein beruflicher Erfolg ist nicht an den Besuch eines Gymnasiums oder einer Realschule gebunden. Meine Aufgabe ist auch die, den Eltern die Perspektiven der verschiedenen Bildungswege zu vermitteln. Es führen mittlerweile viele Wege zu einem hohen Bildungsabschluss. Immer häufiger entscheiden sich Eltern trotz einer gymnasialen Eignung des Kindes bewusst für den Weg in die Realschule oder sehen die Möglichkeiten des durchlässigen Schulsystems.

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Hat das etwas mit dem G 8 zu tun?

Gerade durch das G8 nimmt für viele Kinder der Lernstress von Schuljahr zu Schuljahr zu. Diesem wollen Eltern ihre Kinder immer weniger aussetzen. Sind Kinder noch weniger belastbar oder ist das Lerntempo noch etwas langsamer, finde ich es vernünftig umzudenken und die eigenen Wunschvorstellungen zu hinterfragen. Es geht um eigene Flexibilität und die nicht immer einfache Aufgabe, sich mit seinem Kind auf einen Entwicklungsprozess einzulassen.

Welche Rolle spielt der Lehrer in diesem Prozess?

Die Einschätzung der Lehrer ist sehr wichtig. Die Klassenlehrkräfte haben sehr viel Berufserfahrung und wissen, worauf es in weiterführenden Schulen ankommt. Sie kennen die Kinder bereits seit der dritten Klasse, konnten deren Entwicklungsschritte mitverfolgen und sind sich der Herausforderungen, vor der die Kinder stehen, durchaus bewusst. Das Lehrerurteil ist von daher ein sehr wesentliches. Lehrkräfte haben ebenso die Aufgabe der umfangreichen und intensiven Beratungsarbeit mit den Eltern, die nicht immer einfach ist, zu leisten.

Warum?

Eltern wollen verständlicherweise nur das Beste für ihr Kind. Das Abitur gilt immer noch als einziger Türöffner zu beruflichem Erfolg und Wohlstand. Wenn beispielsweise das Ziel Gymnasium gefährdet scheint, geraten viele Eltern in Panik. Hier ist gute Beratung nötig und gemeinsam mit den Lehrkräften weitere Schritte zu entwickeln. Schulischer Erfolg oder Misserfolg sind zentrale Themen der Eltern, Schwierigkeiten in der Schule führen immer wieder zu starken Konflikten sowohl zu Hause wie im Rahmen der Schule. Besteht jedoch auch gegenseitiges Vertrauen und ein gewisses Maß an Zuversicht, kann dies zu mehr Entspannung beitragen.

Empfinden Sie den Druck heute als größer im Vergleich zu früher?

Der Druck auf ein Kind, im Laufe der 4. Klasse besonders gute Noten zu erbringen, ist durchaus gewachsen. Die Entscheidung des Notenschnittes 2,33 für den Besuch des Gymnasium beziehungsweise 2,66 für den der Realschule führt zwangsläufig zu einem Leistungsdruck, wobei Noten situationsspezifischen Einflüssen unterliegen und auch tagesformabhängig sind.

Was wünschen Sie den Viertklässlern?

Ich würde einem Viertklässler beispielsweise wünschen, eine nicht so gute Note nicht so tragisch nehmen zu dürfen, durch vielfältige Erfahrungen in der Schule und in der Familie ein gutes Gefühl in die eigenen Fähigkeiten entwickeln zu können und besonders neben der Schule noch ausreichend Zeit für Freunde und die eigenen Interessen zu finden. Der Fokus sollte weniger intensiv auf die Leistung gerichtet sein.

© SZ vom 25.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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