Arbeitsmarkt:Das Ende des Aufschwungs

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Zu Beginn des Ausbildungsjahrs sind im Landkreis mehr als 200 Stellen unbesetzt. Nicht nur im Handwerk, sondern auch in der Industrie. Das schadet am Ende der ganzen Wirtschaft

Von Pia Ratzesberger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Vom Blut ist nichts mehr zu sehen, jetzt glänzt die Schlachtbank. Die großen Haken, an denen an anderen Tagen tote Schweine gen Boden blicken, reihen sich ordentlich aneinander. "Ist doch alles sauber hier, ist doch alles schee", sagt Josef Großmann, klatscht in die Hände und führt vom einen weißen, gefliesten Raum in den nächsten - die Wurstküche. Nun ist klar, woher der beißende Geruch aus Rauch und Fleisch stammt, hier nämlich hängen gerade Kassler Ripperl und Schweinshaxen in einem Räucherofen. Nur am Montag wird geschlachtet, die restlichen Wochentage verarbeitet. "Der Beruf ist lange nicht mehr so anstrengend, wie er es einmal war", sagt der 46-Jährige, weiße Schuhe, weißer Kittel. Doch Großmann findet keine Auszubildenden mehr, und das seit Jahren. Genau erinnert er sich nicht, wann er sein Gesuch bei der Arbeitsagentur aufgegeben hat, ob vor fünf, sieben oder acht Jahren. Sicher ist: Bis heute hat sich kein einziger Bewerber gemeldet.

Der Münsinger Metzger Josef Großmann sucht seit Jahren vergeblich Auszubildende. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nicht nur den Metzgerbetrieben aber fehlen Lehrlinge, sondern auch den Bäckereien, den Einzelhandelsgeschäften, den Gastronomiebetrieben, Verwaltungen, mittlerweile sogar den Industrieunternehmen. Allein in Bayern waren im August noch immer mehr als 20 000 Ausbildungsplätze unbesetzt, im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen mehr als 200. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass es dem Landkreis nicht viel anders geht als dem Rest Deutschlands: Vor allem im Verkauf fehlen Leute, mehr als 60 Ausbildungsplätze waren hier im August noch zu haben. Doch auch abseits dessen, im Hochbau, in der Fahrzeugbautechnik oder den Arztpraxen mangelt es an Lehrlingen.

"Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssen um jeden Azubi kämpfen", sagt IHK-Sprecher Reinhold Krämmel. (Foto: Wolfsbauer)

Anfang September begann das Ausbildungsjahr, für gewöhnlich werden in der Zeit danach noch einige Verträge geschlossen. Doch sie fallen nicht so stark ins Gewicht, als dass der Trend nicht klar wäre: "Es gibt immer weniger Bewerber, aber immer mehr Stellen", sagt eine Sprecherin der Industrie- und Handelskammer (IHK) München-Oberbayern. Die Firmen wollen sich auf den Fachkräftemangel vorbereiten und bieten, auch ob der guten Konjunktur, reichlich Lehrstellen an. Die Nachfrage aber bleibt aus.

Bei einem ortsansässigen Industrieunternehmen heißt es, dass in diesem Jahr keine zehn Bewerbungen für zwei Lehrstellen eingegangen seien, früher waren es mehr als zwanzig. Der Mangel an Bewerbern, den auch andere Firmen kennen, hat mehrere Gründe: Zwar ist der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen eine Zuzugsregion, trotzdem aber sind die meisten der Menschen hier älter als 40 Jahre - dem Ausbildungsmarkt stehen also von vornherein weniger junge Menschen zur Verfügung als anderswo. Zudem streben immer mehr nach höheren Abschlüssen, möchten an die Universität. Für diejenigen, die eine Ausbildung machen wollen, gibt es damit weniger Konkurrenz, sie können sich die Stelle aussuchen. "Aufgrund der Nähe zu München entscheiden sich dann viele für die Großstadt und gegen die ländliche Umgebung", sagt eine Sprecherin der Arbeitsagentur Rosenheim.

Auch bei der Firma aus der Industrie heißt es, drei oder vier Bewerber hätten sich durchaus in einem Gespräch vorgestellt, doch trotzdem sind beide Ausbildungsplätze noch immer unbesetzt. Man würde nun vermuten, dass dem Betrieb keiner der Interessenten passend erschien. Aber es war genau andersherum: Den Bewerbern erschien das Unternehmen unpassend. Letztlich haben alle abgesagt, sie hätten "etwas anderes" gefunden.

Für die jungen Auszubildenden ist das eine glückliche Situation, für die Wirtschaft, auch hier im Landkreis, dagegen eine gänzlich unglückliche. Wenn Lehrstellen frei sind, bleiben Potenziale ungenutzt. In der Zukunft wird es den Betrieben an entsprechenden Facharbeitern fehlen, im schlimmsten Fall drückt das die Produktivität und am Ende das Wirtschaftswachstum.

Die Zeiten, in denen die Bewerber in die Betriebe drängten, ohne dass diese für ihre Stellen geworben hätten, sind vorbei. "Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssen um jeden Azubi kämpfen", sagt Reinhold Krämmel, Vorsitzenderer des IHK-Gremiums Bad Tölz-Wolfratshausen-Miesbach.

Metzger Josef Großmann hat momentan zwar noch zwei Lehrlinge, doch die werden ihm als Facharbeiter nicht erhalten bleiben. Die Eltern des einen hätten eine eigene Metzgerei in München, der Junge sollte nur für die Ausbildung das Haus verlassen, erzählt er. Der andere sei Spanier und über ein Sonderprogramm der Arbeitsagentur nach Wolfratshausen gekommen. Sobald es in seinem Heimatland wieder Jobs für ihn gebe, werde wohl auch er gehen. Andere Interessenten? Großmann schüttelt den Kopf. Blut, Eingeweide, Knochen, das schrecke viele ab, sagt er. Dabei sei doch alles sauber. Alles schee.

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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