Bad Tölz:Das Wagnis hat sich gelohnt

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Wenig bekannt und dazu ganz auf Lateinisch: Buxtehudes Kantatenzyklus "Membra Jesu Nostri" in der Tölzer Stadtpfarrkirche ist ein großer Erfolg

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Wenig bekannte Werke, ausschließlich lateinische Texte - ein solches Programm ist ein Risiko für jeden Chor. Der Junge Kammerchor Bad Tölz, ein Projektchor, ist dieses Wagnis eingegangen. Unter Leitung von Kirchenmusiker Christoph Heuberger haben die Sängerinnen und Sänger zwei Barockwerke abseits des Mainstreams einstudiert: das Responsorium "Caligaverunt oculi mei" des Bach-Zeitgenossen Jan Dismas Zelenka sowie, als Hauptwerk des Abends, "Membra Jesu Nostri" von Dietrich Buxtehude. Und siehe da: die Stadtpfarrkirche war erfreulich gut besucht, besser als bei so manchem Konzert mit populären Werken. Die Passionszeit mag die Zuhörer ebenso in die Kirche gelockt haben wie der Ostermarkt auf der nahen Marktstraße.

Mit jeweils vier ersten und zweiten Sopranistinnen, fünf Altstimmen, drei Tenören und vier Bässen präsentierte sich der Kammerchor ausgewogen in den Stimmlagen. Die Sängerinnen und Sänger nahmen im Halbkreis Aufstellung; Heuberger leitete von der Kammerorgel aus.

Der Chor überzeugte mit rundem Klang

Schon beim einleitenden Zelenka-Responsorium, einem kurzen Stück, zeigte sich, wie sorgfältig der Dirigent am Chorklang gefeilt hatte. Der Chor überzeugte mit rundem, homogenem und angenehmem Ton ohne Vibrato und romantischen Überschwang, stilgerecht barock eben. Das kleine Fugato auf die Textstelle "sicut dolor meus" gelang durchhörbar und klar. Zelenkas Responsorium war kaum mehr als ein Appetithappen auf das Folgende, und man bedauerte fast, dass es so schnell zu Ende war.

War der Zelenka nur von der Barocklaute und einer einzigen Gambe begleitet gewesen, so verlangt Buxtehude zwei Violinen und - bei einem der sieben Teile - fünf Gamben. Die Streicher boten eine barock bewegte Wiedergabe; das Vorbild der historisch informierten Aufführungspraxis war nicht zu überhören. Dies schlug sich auch in den recht flotten Tempi nieder, die Heuberger wählte. Der Chor trug das Konzept mit, und es entstand eine federnde, schwingende Interpretation des Werks, die manche Zuhörer sichtlich irritierte, aber dem Stil der Entstehungszeit angemessen war.

Wie zu Buxtehudes Zeiten

Der Kammerchor schaffte es, sämtliche Soloparts aus den eigenen Reihen zu besetzen. In jeder Stimmlage gab es einen bis drei Solisten, die bei ihren Auftritten zur Mitte des Chorrunds gingen und sich danach wieder in die Gruppe eingliederten. Auf diese Weise wurde der strikte Gegensatz zwischen Chor- und Solosängern überbrückt, gerade so, wie es wohl auch zu Buxtehudes Zeiten gewesen sein mag.

Alle Solisten bewältigten ihre Parts mehr als achtbar und gefielen mit angenehmen, sauber intonierten Stimmen. Dass die Altistinnen dabei etwas untergingen und in den hinteren Reihen nur schwer zu hören waren, ist nicht den Sängerinnen anzukreiden, sondern dem Komponisten. Offensichtlich hat Buxtehude den Solopart für einen Altus komponiert, denn die Tessitura liegt für Frauenstimmen unangenehm tief.

Der unbestreitbare Höhepunkt des Kantatenzyklus wird in der sechsten Kantate "Vulnerasti cor meum" erreicht, die als einzige von fünf Gamben begleitet ist. Das ausgiebige Stimmen der Instrumente zu Beginn dieses Teils wirkte störend, war aber nicht zu vermeiden, denn die empfindlichen Gamben können die Stimmung nicht lange halten. Umso beeindruckender dann der aparte Klang, mit dem die seltenen Instrumente im Quintett aufwarteten. Der Chor gestaltete den poetischen Text schwebend, fast schwerelos, und alle Mitwirkenden waren sich der besonderen Qualität und des einzigartigen Flairs gerade dieser Kantate bewusst.

Der letzte Teil brachte wieder die nötige Erdschwere

Der letzte Teil "Illustra faciem tuam" brachte dann wieder die nötige Erdenschwere, und das abschließende "Amen" klang geradezu fröhlich. Nachdem der letzte Ton verklungen war, wahrte das Publikum fast eine volle Minute lang die Stille; dann brach der verdiente Beifall los. Heuberger gewährte den Solisten jeder Stimmgruppe ihren Sonderapplaus, bevor sich zuletzt alle Mitwirkenden gemeinsam verbeugten. Alles in allem zeigte der Abend, dass man auch mit weniger gängigen Werken ein großes Publikum anziehen und fesseln kann.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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