Bad Tölz:Betreuung, die Eltern traumatisiert

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Die Lebenshilfe im Landkreis unterstützt Familien, die mit der Pflege behinderter Kinder an ihre Grenzen stoßen.

Suse Bucher-Pinell

Katja ist 22 Jahre alt. Sie sitzt im Rollstuhl, kann nicht reden, kann sich wenig bewegen und wirkt sehr viel jünger als sie tatsächlich ist. Ihre Familie weiß nicht einmal, ob sie es verstehen kann, wenn sie mit ihr sprechen. Rund um die Uhr ist die junge Frau von Kind an auf Hilfe angewiesen. Dass ihre Eltern trotzdem mal wegfahren oder mit Katjas nicht behinderten Geschwistern Ferien ohne Einschränkungen erleben können, verdanken sie Angeboten wie die der Regionalen Offenen Behindertenarbeit (ROB) der Lebenshilfe im Landkreis.

Sie hat nicht nur Ausflüge ins Schwimmbad oder nach Salzburg zum Christkindlmarkt, Kreativtage oder Kochkurse als Gruppenveranstaltung im Programm. Sie bietet auch kurzzeitige Einzelbetreuung zuhause oder in einem ihrer Wohnheime an für jene, die aufgrund ihrer Behinderung in einer Gruppe nicht klarkommen. Katjas Familie nimmt das Angebot immer wieder gerne an. "Für Katja ist es Urlaub und für uns eine tolle Sache", sagt sie. "Wir haben ein gutes Gefühl, wenn wir sie dort lassen können."

Ein Kind mit Behinderungen zu haben ist keine leichte Aufgabe. "Die Anforderungen an Familien mit behinderten Kindern sind deutlich höher als die an Familien mit nicht behinderten Kindern", sagt Sonja Schulz von der ROB. Je nach Grad der Behinderung brauchen sie extrem viel Pflege, manche müssen eine Leben lang gefüttert und gewickelt werden. "Es ist eine immerwährende Anforderung", weiß sie. Zeitlich, körperlich, psychisch.

Für einige Eltern sei es kaum zu ertragen, immer da sein und bei vielen Alltagstätigkeiten helfen zu müssen, sagt Renate Wacker, die Leiterin der Heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe. "Eltern behinderter Kinder gelten als traumatisiert", sagt sie. Darüber sei sich die Wissenschaft einig. So schockierend diese Pauschalisierung klingt, so nachvollziehbar ist sie. Viele Eltern erleben die Behinderung als Schicksalsschlag, dem sie hilflos ausgesetzt sind.

Auch die Heilpädagogische Tagesstätte gehört zu den Angeboten, die sich im Lauf der Jahre bei der Lebenshilfe etabliert haben. Dort werden Kinder am Nachmittag betreut, um 16.30 Uhr bringt sie der Fahrdienst nach Hause. Als Renate Wacker vor 34 Jahren dort anfing zu arbeiten, war sie eine von vier Mitarbeitern.

Heute zählt ihr Team 27 Kollegen. Die Kinder werden nach dem Unterricht in der Von-Rothmund-Schule in Bad Tölz mit ihren Außenklassen in Bad Heilbrunn und Benediktbeuern sowie der schulvorbereitenden Einrichtung (SVE) zur Tagesstätte gebracht. Drei Viertel der Schüler der Von-Rothmund-Schule, 65 Buben und Mädchen, nehmen das Angebot am Nachmittag wahr. Alle Plätze sind belegt, zurzeit besteht eine kleine Warteliste. Die Kinder essen dort, sie spielen, bewegen sich an der frischen Luft, werden nach ihren individuellen Bedürfnissen gefördert. Sie bekommen am Nachmittag auch Logo-, Ergo- und Physiotherapie.

Ein Team aus Psychologen, Sozialpädagogen, Erziehern, Heilerziehungspflegern und Kinderpflegern kümmert sich um die Kinder, für jeden gibt es einen individuellen Förderplan. Denn so gut wie jedes Kind habe Entwicklungspotenzial, sagt Renate Wacker. "Auch schwerst behinderte Kinder lernen dazu." So weit es das Budget zulässt, öffnet die Heilpädagogische Tagesstätte auch in den Ferien, was die Eltern auch sehr gerne annehmen.

Als Katja das erste Mal vorübergehend Wohnheim gebracht werden sollte, sei es schrecklich gewesen für die ganze Familie, erinnert sich Edith Müller. Heute weiß sie, dass es sehr hilfreich und für jeden ein Gewinn ist. "Es ist eine ganz tolle Einrichtung."

© SZ vom 01.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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