Wilde Weihnacht:"Advent, Advent, der Dancefloor brennt"

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Erst die Familie, dann die Party: Die Clubs der Stadt werden am Heiligen Abend zum zweiten Wohnzimmer der Gäste.

Jochen Temsch

Vanillekipferln stauben besonders schön, wenn sie im Ausschnitt eines Mädchens landen. Deshalb backt Skadi Schabacker nicht mehr. Es gab schon mal Zeiten, da hat die Chefin des Clubs Palais ihren Gästen selbstgemachte Plätzchen auf die Theke gestellt. Aber das enthemmte Partyvolk hat sich die Spezereien nur gegenseitig in die Shirts und Wodka Bulls geworfen. "Dafür ist mir meine Liebesmüh' zu schade", sagt Schabacker. Auch Glühwein gibt es keinen in ihrem Laden. "Zu heiß", meint sie.

Das Münchner Partyvolk ist auch an Weihnachten unterwegs. (Foto: Foto: Robert Haas)

Trotzdem kommt auch sie nicht ganz ohne die saisonal üblichen Anspielungen aus. "Unsere Räume wirken sowieso immer ein bisschen weihnachtlich", sagt sie über das plüschig rote Glitterambiente ihres Clubs am Hauptbahnhof, der einmal ein Animierlokal war. Und für ihr Dezember-Programm hat sie sowieso das passende Motto ausgegeben: "Advent, Advent, der Dancefloor brennt."

Das gilt im übrigen für alle Clubs der Stadt. Die stille Nacht ist eine wilde Nacht. Wenn die Kirchgänger ihr Gotteslob für die Christmette bereitlegen, stehen die Weggeher vor dem Spiegel und machen sich für die Piste schön. Das Party-Angebot ist am 24. Dezember so groß wie an jedem gewöhnlichen anderen Tag. Für jeden Musikgeschmack ist etwas dabei. Im Atomic Café läuft unter dem Titel "Single Bells" Soul aus den sechziger Jahren. In der Ersten Liga ist "Balkanstyleee" angesagt. Im Crown's Club gibt es Hip-Hop und R&B.

Wenig Lametta für die Ohren

Das Stammpublikum kann auf seine zweiten Wohnzimmer zählen. Etwa auch auf das Max & Moritz, wo donnerstags normalerweise nicht die Ankunft des Herrn, sondern ein "Mädels-Abend" begangen wird, bei dem Jungs erst später dazustoßen dürfen. Oder auf den Q-Club, der an diesem Tag sonst als "Porno Lounge" firmiert.

In Skadi Schabackers Palais drehen die "Holy Homies", die DJs Tobstar und Der Scheuchenpflug an den Plattentellern. Regelmäßige Besucher kennen die beiden als Türsteher und Kassenchef des Clubs. Schabacker hat ihre Leute gebeten, hin und wieder einen Weihnachtssong ins Repertoire einzustreuen. Aber das war es dann auch schon mit Lametta für die Ohren. "Die Leute wollen feiern und tanzen wie immer", sagt sie.

Das ist auch die Erfahrung von Jens Poenitsch, der die DJs für das Café am Hochhaus bucht. "Für Traditionalisten klingt es vielleicht kurios, aber es geht wunderbar zusammen: Erst sitzt man gemütlich mit seiner Familie beim Essen, dann ist es aber auch wieder gut und man will in die Stadt zum Tanzen." Im Café am Hochhaus kann man das am 24. zum dort gewohnten, elektronischen Sound tun. Es gibt nicht einmal ein spezielles Motto.

Die Resident-DJs von "No. 1 Pistola" spielen eine Mischung aus Funk-, Soul- und Hip-Hop-Einflüssen. Es werde sicher voll, wie überhaupt in den meisten Clubs, glaubt Poenitsch, ein langjähriger Kenner der Münchner Nacht. "Das unbesinnliche Feier-Element von Weihnachten steht im Vordergrund", meint er. Von einer Flucht vor dem Fest könne man trotzdem nicht sprechen: "Die Leute wollen einfach Spaß haben, ein bisschen was trinken und den Weihnachtsbraten wegtanzen."

Viele Clubs öffnen nach Mitternacht ihre Türen für alle Feierwilligen. (Foto: Foto: AP)

An dieser Säkularisierungstendenz ändert auch das bayerische Feiertagsgesetz nichts, das Weihnachten als einen der sogenannten stillen Feiertage definiert. In dem Gesetz heißt es, dass "öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen, die nicht dem ernsten Charakter dieser Tage entsprechen", untersagt sind. Das Verbot gilt am 24. Dezember ab 14 Uhr - aber nur bis Mitternacht. Dann geht es in den Clubs zur Sache.

"Elektronisches Krippenspiel"

Doch ganz so gewöhnlich ist diese Nacht dann doch nicht für die Macher der Münchner Szene. Für David Süß zum Beispiel, der das Harry Klein betreibt. Wenn er seinen Nachwuchs ins Bett gebracht hat, radelt er in seinen Laden und genießt die besondere Atmosphäre in der Stadt.

"Die Straßen sind wie ausgestorben", sagt er, "aber im Club ist es warm und schön, du fühlst dich geborgen - es ist eine Art elektronisches Krippenspiel." Im Gegensatz zu Silvester, wo es einen "zwanghaften Erlebnishunger" der Gäste gebe, gehe es an Weihnachten "angenehm entspannt, harmonischer und lockerer als sonst" zu. Das bestätigen auch die anderen Club-Betreiber. Skadi Schabacker sagt: "Die Gäste kommen satt und zufrieden von Mutti und legen im Club noch einen drauf."

Auch für Sascha Elsperger sind Weihnachten und Ausgehen kein Widerspruch. Der Veranstalter der "Rebel Yell"-Partys im Club 59:1 meint: "Man darf sich die Feiernden in dieser Nacht nicht als arme Seelen vorstellen - im Gegenteil. Man trifft Freunde von auswärts, die man schon lange nicht mehr gesehen hat, unternimmt mal wieder etwas zusammen. Das macht einfach gute Laune."

Elsperger ist sich sicher, dass das auch bei seinem nächsten "Rebel Yell" am 19. Dezember der Fall sein wird, wenn die Rockabilly-Band Smalltown Casanovas spielt. "Auch wenn das kein Weihnachtssound ist, wird einem dabei irgendwie warm ums Herz", meint Elsperger. Und: "Warum? Ja, weil halt Weihnachten ist!"

© SZ vom 18.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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