Westend:Weg von den Wurzeln

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Im Streit um das "Haus mit der roten Fahne" schlagen sich die Sozialdemokraten auf die Seite der CSU. Viele Menschen im Westend sehen das als Verrat an den Traditionen der Arbeiterbewegung

Von Andrea Schlaier

M ehr als eine termindichte Woche brauchte es nicht, um diesen Beweis zu führen: Den Beweis, wie sehr sich die Rathauskoalition aus SPD und CSU zuweilen entfernt von den eigenen Leuten im Viertel. Pathetiker würden sagen: entfernt vom eigenen Volk. Dabei ist der Weg gar nicht so weit vom Marienplatz zum Westend, dem kleinsten Münchner Stadtbezirk, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Arbeiterviertel zur Welt gekommen und bis in die jüngste Vergangenheit fest in roter Hand war.

Die Glut ist inzwischen nicht mehr ganz so heiß. Bei den Kommunalwahlen hat die SPD kontinuierlich an Zuspruch verloren. 2014 reichte es trotz einer Stimme Mehrheit nicht mal mehr zum Vorsitz im Bezirksausschuss (BA). Den schnappten sich die Grünen mit Unterstützung von CSU und FDP. Ein schmerzlicher Schlag für die Genossen auf der Schwanthalerhöhe. Den nächsten versetzte ihnen vergangenen Mittwoch die eigene SPD-Stadtratsfraktion.

Es ging, worum es auf der Schwanthalerhöhe seit einem halben Jahr geht: Den Erhalt des "Hauses mit der roten Fahne". Mieter ist seit knapp 40 Jahren der dunkelrote Verlag "Das freie Buch", der sich im Verbund mit der eigenen Druckerei, öffentlicher Bibliothek und ein paar Vereinen der Arbeiterbewegung in einen Hinterhof an der Tulbeckstraße 4 f eingemietet hat. Regelmäßig finden hier etwa Vorträge statt oder Aufführungen, etwa zur "Sendlinger Mordweihnacht".

Für die Partei - hier bei einem Protest im Westend gegen Rechts - hat das Folgen. (Foto: Robert Haas)

Was im Erdgeschoss an Überzeugungen durch die Druckerpresse geht, ist freilich nicht jedermanns Geschmack. Einem gestandenen CSUler dreht's da unter Umständen den Magen um. Thomas Hofstätter, christsozialer Vize im BA, geht es nicht anders, wenn er liest, was der hier ansässige Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD als Ziel ausgibt: Von einer Vorhutorganisation ist da die Rede, "die die Arbeiterklasse und die breiten Volksmassen zum Kampf gegen die Klassenfeinde führt". Aber - praktisch - weiß Hofstätter, wer hier aus- und eingeht, genauso wie BA-Chefin Sibylle Stöhr von den Grünen, die sagt: "Wenn man die Leute von der roten Fahne kennt, dann weiß man, dass das friedliebende Menschen sind, die keiner Fliege was zuleide tun." Klar, betonen sie hier fraktionsübergreifend, "sind wir nicht mit allem einverstanden, was hier verlautbart wird".

Die SPD schreitet da Seit' an Seit' mit den Kollegen. Schließlich lebt in diesem sozio-kulturellen Treffpunkt ein Stück Arbeiter-Tradition des Viertels fort und ganz nebenbei der zweitälteste Gewerbebetrieb im Westend. Eine gewisse Großzügigkeit anderen Kulturen gegenüber gehört ohnehin zum ur-demokratischen Selbstverständnis auf der Schwanthalerhöhe. Seit einem halben Jahr sieht man sich gleichwohl genötigt zur Solidarität für die Verlagsfamilie - im Wesentlichen gegen das Rathausbündnis von SPD und CSU. Die beiden Fraktionen wollen die Roten aus dem Haus haben.

Klassenkampf und kommunistische Ideale: Das "Haus mit der roten Fahne" soll nach dem Willen der SPD keine Zukunft haben. (Foto: Stephan Rumpf)

Kurz und grob geht die Geschichte so: 2011 beabsichtigt der Verlag "Das freie Buch" selbst die Immobilie von der Stadt zu kaufen. Ein CSU-Stadtratsantrag vereitelt dies und argumentiert mit dem kommunistischen Streben im Hinterhof. Lange vier Jahre später, 2015, reagiert der Stadtrat, kündigt die Kündigung zunächst an. Wie alle anderen Gewerbetreibenden im Sanierungsgebiet Westend soll auch diese Parzelle in den Gewerbehof ziehen, Platz machen für Wohnungen. 2016 dann die tatsächliche Kündigung mit nachgereichter Aussicht auf Verlängerung bis Ende 2017. Bedingung: Innerhalb von zwei Tagen soll man auf weitere Ansprüche verzichten. Während sich im Stadtrat nur Grüne und Linke dagegen wehren, formiert sich im Westend eine Welle des Widerstands. Jeder Stromkasten ist mittlerweile zugepflastert mit Unterstützer-Plakaten. Viele der jungen Zugezogenen fragen deshalb erst nach, was eigentlich los ist. Sehr zügig zeichnen 2200 Menschen eine Petition zum Erhalt der Einrichtung, sind im Bilde und kritisieren, angeführt vom BA, dass sich über Monate kein Stadtverantwortlicher öffentlich erklärt, was hinter verschlossenen Türen angezettelt wurde. Argwohn liebt diesen Nährboden.

Am Montag dieser Woche, zwei Tage vor der endgültigen Entscheidung im Stadtrat, schafft es das Bürgergremium dann doch noch, eine Vertreterin des Planungsreferats zur Diskussion aufs Podium zu bewegen. Der Andrang ist zu groß für den wenigen Platz im Griechischen Haus. Der Abend liefert erstaunliche Erkenntnisse. Brigitte Wolf von den Stadtrats-Linken liefert Fakten, die Stadtplanerin bestätigt die allesamt: Für den Bau von maximal sieben Wohnungen soll die Verlagsfamilie weichen, obwohl dies städtische Fachleute bereits 2013 für unwirtschaftlich hielten. Jetzt wüten sie alle im proppenvollen Raum, vom türkischen Drucker über die pensionierte Lehrerin bis zum zugezogenen Kreativen. Während die Westend-Grünen von der eigenen Fraktion im Rathaus gestützt werden, stehen die SPD-Kollegen im Regen. Den Kopf auf dem Podium hinhalten muss letztlich Gerhard Mayer. Ausgerechnet der Mann, der 2011 den geplanten Verkauf des städtischen Grundstücks an den roten Verlag miteingefädelt hatte, soll jetzt mutterseelenallein die Marschrichtung der SPD-Granden im Rathaus verteidigen. Das Publikum hat kein Pardon mit ihm, als er bekennt: "Ich persönlich bin ja anderer Meinung, aber ich habe in meiner Fraktion keine Mehrheit."

Zwei Tage später poltert die CSU im Stadtrat lustvoll gegen die "kommunistischen Verfassungsfeinde", als zöge gerade die Rote Armee durchs Karlstor. Der SPD ist diese "ideologische Überhöhung" etwas peinlich. Doch sie stimmt wie alle anderen - außer Linken und Grünen - doch für die Kündigung. Wohnraum schaffen, selbst in der kleinsten Bude. Gerhard Mayer hat sich vor der Abstimmung aus dem Saal geschlichen, damit er nicht die Hand heben muss gegen seine persönliche Überzeugung. Daheim auf der Schwanthalerhöhe bleibt's für die Seinen ungemütlich. Die Vertreter des "Hauses mit der roten Fahne" haben angekündigt, weiter zu kämpfen - bestärkt durch die breite Unterstützung in der Bevölkerung. "Für die SPD im Westend", sagt eine, die ziemlich nah dran ist, "wird die Geschichte hier noch große Nachwirkungen haben."

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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