Werksviertel:Streicher und Sprayer

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"Vision Turnschuh und Stöckelschuh": Die Sprayer Loomit (Mitte) und Hrnx verschönern den Bauzaun im Werksviertel. (Foto: Stephan Rumpf)

Zwei Welten treffen aufeinander: Zu den Klängen von Anton Bruckners Siebter Sinfonie besprühen die Street-Art-Künstler Loomit und Hrnx den Zaun der künftigen Konzertsaal-Baustelle mit einem Graffito

Von Thomas Jordan

Gerade als sich Loomit auf Zehenspitzen ein Stück nach links strecken will, um am oberen Ende des hölzernen Bauzauns die weiße Notenlinie nachzuziehen, passiert es: Der Spraykünstler stolpert über die grüne Box mit den Spraydosen, ein paar von ihnen kippen um. War die Musik schuld an dem kleinen Fauxpas? Über den Platz vor dem knallorangen Werk 3 im Münchner Werksviertel dröhnt an diesem Freitagabend schließlich gerade der letzte Satz von Anton Bruckners Siebter Sinfonie. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat soeben zum dramatischen "Unisono"-Finale angehoben, während der deutschlandweit bekannte Urban-Art-Künstler mit dem Finish für sein "Piece" beginnt: Eine perspektivisch verzerrte Darstellung von Noten und Notenlinien, in der Mitte der weiß-blau-rote Schriftzug "Symphonie".

Das feierlich-erhabene Werk des österreichischen Romantikers und die Sprayer-Szene: "Es sind zwei Welten, die hier aufeinandertreffen." Diesen Ausspruch hört man häufig unter den etwa 50 Zuschauern der Aktion, nur wenige Meter entfernt von der Zufahrtsschranke zur ehemaligen Münchner Feiermeile, der Kultfabrik. Denn der Bauzaun, den Loomit, der seit 20 Jahren sein Atelier auf dem Gelände hat, zusammen mit seinem jungen Kollegen "Hnrx" besprüht, umgrenzt eine Ruinenlandschaft, an deren Stelle schon in wenigen Jahren Münchens neuer Konzertsaal entstehen soll. Die Detailplanungen dafür laufen derzeit in mehreren Arbeitsgruppen der Staatsregierung. Im Herbst soll ein Architektenwettbewerb beginnen, 2018 soll es schon den ersten Spatenstich gebe.

Hauptnutznießer des neuen Hauses wird das BR-Symphonieorchester sein. Das ist auch der Grund, warum an diesem Abend große schwarze Lautsprecher und kleine Bildschirme vor dem Werk 3 aufgebaut sind. Aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz wird das Konzert der BR-Symphoniker unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin live übertragen. Ausgedacht haben sich die musikalische Sprayaktion Peter Meisel und Markus Wiegand, die Pressesprecher von Symphonieorchester und Kultfabrik, als Vorab-Test für die "Vision Turnschuh und Stöckelschuh", wie die beiden es nennen. Denn die zwei Welten, sie werden in Zukunft noch enger als bisher harmonieren müssen: Schon in wenigen Jahren soll auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände ein ganz neues Stadtviertel entstehen, in dem Hochkultur und Subkultur, Streicher und Sprayer, Clubgänger und Start-Ups in kreativer Nachbarschaft zusammenleben.

Es ist erstaunlich, wie mühelos es Bruckners erfolgreichstem Orchesterwerk dabei gelingt, die Atmosphäre an diesem Abend für sich einzunehmen. Selbst "Hnrx" der junge, vegane Sprayer, der sich auf rote und blaue Würstchen-Motive spezialisiert hat, kann sich dem nicht entziehen, obwohl er sonst eher Alternative-Bands wie "Frittenbude" zu seinen musikalischen Favoriten zählt als die dramatischen Rhythmen des österreichischen Romantikers. Es hat schon beinahe etwas von einer Choreografie, wie elegant der hippe junge Sprayer mitten im feierlichen Adagio des zweiten Satzes in einer einzigen runden Bewegung des rechten Oberarms den großen blauen Bogen für den Würstchen-Zipfel auf dem "M" von "Symphonie" sprüht.

Franz Scheuerer, langjähriger Geiger des BR-Symphonieorchesters, der an diesem Abend unter den Zuschauern ist, zeigt sich hellauf begeistert: "Das ist genau die Ruhe in der Bewegung, die man an dieser Stelle bei Bruckner braucht." Eine junge Studentin, die neben ihm steht, ebenfalls Musikerin, ist dagegen noch etwas skeptisch, was das Zusammenspiel der beiden Welten angeht: "Es läuft schon noch eher nebeneinander her, als dass es miteinander harmoniert." Aber auch wenn die Feinabstimmung zwischen Musikern und Sprayern an diesem Abend noch gelegentlich ins Stolpern geraten kann, eines ist klar: Die Beteiligten werden sich nicht davon abhalten lassen, ihre "Vision Turnschuh und Stöckelschuh" zu verwirklichen. Am allerwenigsten der Sprayer Loomit selbst. Er plant schon den nächsten Schritt, mit der er der Hochkultur kreativ auf die Pelle rücken will: Bei den Planungen für den Neuen Konzertsaal wünscht er sich Platz für eine Wand im Gebäude, die für Spraykunst zur Verfügung steht.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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