Weltraumforschung in München:Am Seil ins All

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Bei der European Space Elevator Challenge in Garching testen Studenten selbst gebaute Weltraumaufzüge. Noch starten die innovativen Lifte nur auf kurzen Versuchsstrecken, es fehlt an geeigneten Materialien

Von Kevin Rodgers

Man sieht ihn schon aus weiter Ferne am Himmel stehen. Einhundert Meter hoch schwebt der weiße Heliumballon über dem Gelände der Technischen Universität München in Garching. Darunter herrscht reges Treiben. Eine Gruppe von Studenten mit blauen Helmen wuselt auf einem abgesperrten Stück Wiese unter dem Ballon umher, ein rot-weißes Absperrband flattert im Wind. Doch hier auf dem Campus geht es nicht um so Altmodisches wie Ballonfahren, sondern um Science-Fiction.

Auf dem Bolzplatz hinter dem Forschungszentrum findet derzeit die dritte "European Space Elevator Challenge" statt, ein internationaler Wettbewerb zur Entwicklung sogenannter Weltraumaufzüge. "Die Idee dahinter ist relativ einfach. Statt eine Rakete ins All zu schießen, sollen in Zukunft Aufzüge Menschen und Materialien in den Weltraum befördern", erklärt Tim Wiese von der Warr, der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt an der TU, die den Wettbewerb organisiert. Weil aber der Weltraum von Garching aus noch sehr weit weg ist, erproben die Studenten ihre Aufzüge zunächst an einem 100 Meter langen Seil, das an dem Heliumballon befestigt ist.

Die studentische Arbeitsgruppe der TU München gibt es schon seit 1962. Sie besteht aus engagierten Studenten, die das Ziel haben, die Raumfahrt mit innovativen Ideen und Erfindungen weiterzuentwickeln. Immer wieder setzen die Warr-Studenten ihre Ideen auch in die Tat um, etwa mit Raketenstarts, der Entwicklung von Triebwerken und eben der Konstruktion von Weltraumaufzügen, unter Fachleuten auch "Climber" genannt.

Insgesamt sieben Teams aus Deutschland und Japan haben sich auf der Wiese hinter der TU Fakultät für Maschinenbau in Garching versammelt. Fünf davon treten in der Profiliga an. Zwei Nachwuchsteams kommen von Gymnasien aus Hof und Wiesbaden, ein Team aus Indien musste wegen technischer Probleme absagen. Die Schüler treten an einem kürzeren, jedoch nicht minder anspruchsvollen Seil an, das in etwa 20 Meter Höhe an einem Kran befestigt ist. Bewertet werden unter anderem Geschwindigkeit, Gewicht und Konstruktionsqualität des Climbers.

Noch funktioniert der Weltraumaufzug nur im Modell. (Foto: Space Elevator Visualization Group/Alan Chan)

Jede Mannschaft hat unter einem Festivalzelt eine provisorische Werkstatt eingerichtet. Die Zeltreihe sieht ein wenig aus wie eine Boxengasse bei Autorennen. Unter den Planen stehen Bierzeltgarnituren, vollgepackt mit Laptops, einem Wust aus bunten Kabeln, Werkzeug und leeren Flaschen. Es ist heiß, kühles Radler ist unter den Raumfahrern am Boden besonders beliebt.

Es gibt auch ein paar Anlaufschwierigkeiten technischer Natur: Das Waffeleisen funktioniert noch nicht. Mit den Aufzügen dagegen ist alles in Ordnung. "So ein Aufzug ist im Prinzip auch nicht schwer zu bauen", sagt Jakob Vogt vom Schiller-Gymnasium in Hof. Man treffe sich immer freitags nach dem Unterricht, um am Aufzug zu bauen. "Angetrieben wird der Climber von einem Motor aus einem Modell-Lkw", erklärt Vogts' Kollege Dominik Schaefer. Zudem sei der Climber auch mit einem Ultraschallsensor ausgestattet. "Der erkennt das Ende der Leine und signalisiert dem Aufzug, dass er umkehren muss", erläutert Schaefer dessen Zweck.

So ähnlich funktioniert auch der "Last-Minute-Space-Elevator", den die Warr konstruiert hat. Drei Monate hat die Entwicklung des zweieinhalb Kilogramm schweren und dreieinhalbtausend Euro teuren Geräts gedauert. "Der Climber wird von einem Elektromotor angetrieben, der von Lithium-Akkus, ähnlich den Akkus von Smartphones, versorgt wird", sagt Lift-Konstrukteur Florian Schmidt. Vier bis sechs Kilogramm Nutzlast könne der aus Kohlefaser gebaute Space Elevator aufnehmen, so Schmidt.

Obwohl der Aufzug auf besondere Effizienz ausgerichtet wurde, kann er mit bis zu 35 Metern pro Sekunde, 130 Kilometern in der Stunde, nach oben schießen und in einer Dreiviertelsekunde von null auf hundert beschleunigen. "Das schafft kein Sportwagen", sagt Schmidt stolz. Schließlich müsse der Aufzug nach oben fahren und nicht geradeaus. "Da wirken durch die Schwerkraft viel stärkere Widerstände."

Die Vorteile der Space Elevators liegen auf der Hand. Während der Transport von einem Kilo Fracht mit einer Rakete 10 000 Euro und mehr kosten kann, sind es beim Weltraumaufzug nur etwa 500 Euro pro Kilo. "Zudem sind die Aufzüge sicherer und umweltschonender, weil kein Treibstoff mehr verbrannt wird", ergänzt Jakob Vogt.

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(Foto: Robert Haas)

In Garching simuliert ein Ballon den Satelliten,...

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(Foto: Robert Haas)

...an dem das Aufzugsseil befestigt ist.

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(Foto: Robert Haas)

Vor dem Start...

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(Foto: Robert Haas)

...werden die Lifte noch einmal genau kontrolliert.

Die utopische Idee, mit einem Lift in den Weltraum zu fahren, ist nicht neu. Schon 1895 schlug der Russe Konstantin Ziolkowski, inspiriert vom Eiffelturm in Paris, vor, einen Turm samt Aufzug bis in den Weltraum zu bauen. 62 Jahre später stieß mit Juri Arzutanow 1957 erneut ein Russe auf die Idee mit dem Weltraumaufzug. Er kam auf die heute gängige Technik.

Demnach soll in Zukunft ein Satellit in 36 000 Kilometern Höhe installiert werden, der sich geostationär zusammen mit der Erdrotation immer über dem gleichen Punkt auf der Erde bewegt. Zwischen dem Satelliten und dem Erdboden wird ein Kabel angebracht, an dem die Aufzüge rauf und runter fahren können. Gespannt wird das Seil durch die Fliehkraft des Satelliten. Zum Vergleich: Die Internationale Raumstation ISS zieht in nur 400 Kilometern Höhe ihre Kreise. Bis zum Mond sind es allerdings noch einmal etwa 384 000 Kilometer mehr. Umwelteinflüsse wie Stürme sollen theoretisch keine Rolle spielen.

Das Problem: Noch gibt es kein Material, das in den benötigten Mengen produziert werden kann und das die auftretenden Kräfte aushält. Das Seil, das in Garching am Ballon befestigt ist, besteht aus Aramid und ist extrem schnittfest und hitzebeständig. "Das Material ist dasselbe wie in schusssicheren Westen. Solche Seile werden auch von der Bergwacht bei Helikopterrettungen verwendet", erläutert Wiese. Die Hoffnungen lägen jedoch auf Kohlenstoffnanoröhren, die extrem belastbar und viel leichter als Stahl seien.

Dass das Projekt Weltraumaufzug in naher Zukunft realisierbar wird, glaubt in Garching jedoch niemand. "Auf absehbare Zeit bleiben Raketen das einzige Transportmittel auf dem Weg ins Weltall", meint Florian Schmidt. Wohl aber könnte der Last-Minute-Space-Elevator mehr als 100 Meter hoch fahren. Mehr geht auf dem TU-Campus Garching wegen der Nähe zum Flughafen aus Sicherheitsgründen nicht. In Japan, der auf dem Gebiet der Weltraumaufzüge führenden Nation, steigen die Lifte bis zu zwei Kilometer in den Himmel.

So hoch geht es in Garching nicht. Dennoch ist die Anspannung zu spüren, als die Space Group Hof antritt. 20 Minuten Zeit hat sie für die Wertungsfahrt mit dem Aufzug. Am Ende geht alles gut. Nach 42,18 Sekunden ist die Fahrt beendet und die Erleichterung nach dem Auslesen der in der Messbox aufgezeichneten Parameter groß. "Es ist bis auf ein paar Wackler gut gelaufen. Aber die programmieren wir auch noch raus", resümiert Dominik Schaefer.

Auch bei der Warr ist man nach der Fahrt am großen Seil zufrieden. "Alles reibungslos verlaufen", freut sich Tim Wiese. Das nächste Ziel stehe auch schon fest. "Wir haben geplant, in Japan an einer Challenge teilzunehmen", so Wiese. Und so wird die Science-Fiction an der TU München Stück für Stück ein wenig mehr zur Realität.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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