Vor Gericht:Die Stimmen in seinem Kopf

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60 Jahre alter Münchner soll versucht haben, seine Therapeutin zu vergewaltigen

Von Susi Wimmer

Im Kopf von Herrn R. wohnt ein Störenfried, wie er ihn selbst nennt. Er sagt ihm, dass er seine Schnürsenkel akribisch binden und Mundspülung benutzen soll, um sich besser artikulieren zu können. An manchen Tagen sagt der Störenfried auch fiese Dinge wie "Ich zerstöre dein Gehirn" oder "Stirb, du Versager". Und nachdem Friedemann R. im März 2016 seine Tabletten gegen Depressionen und Psychosen einfach abgesetzt hatte, gewann der Störenfried die Oberhand. Wie im Wahn griff Friedemann R. im Oktober seine Therapeutin an, die ihn regelmäßig in seiner Wohnung besuchte. Er sperrte sie in seinem Appartement ein, würgte sie und versuchte, sie zu vergewaltigen. Die 29-Jährige konnte fliehen. Die 19. Strafkammer am Landgericht München I unter Vorsitz von Elisabeth Ehrl soll nun entscheiden, ob der 60 Jahre alte Münchner in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden soll.

Die junge Frau im blauen Blazer betritt den Gerichtssaal, bleibt stehen und schluckt. Ihre Anwältin begleitet sie bis vor den Richtertisch und setzt sich quasi als Schutzschild vor den Blicken des Angeklagten an ihre Seite. Die 29-Jährige hat mittlerweile ihren Job gekündigt. Als sie Friedemann R. kennen lernte, im August 2015, arbeitete sie als Psychologin für eine Einrichtung, die psychisch kranke Menschen im Alltag unterstützt. Zweimal die Woche besuchte sie den Münchner in seiner Wohnung in Neuhausen, half bei der Suche nach einem Therapeuten, bei der Tagesstruktur, beim Aufräumen.

Gegen ärztlichen Rat setzte Friedemann R. seine Psychopharmaka ab. Irgendwann "kippte sein Zustand deutlich", erzählt die Psychologin. Er bekam Suizidgedanken, rannte ihr ein andermal singend bis zu ihrem Fahrrad hinterher, hatte Tötungsphantasien, stand ihr in Unterwäsche gegenüber und fragte, ob er ihr gefallen würde, wenn er jünger wäre. Bei der Psychologin schrillten die Alarmglocken. Sie sprach mit ihrem Chef, verständigte den Krisendienst, stellte einen Betreuungsantrag und alarmierte eines Tages die Polizei, weil es hieß, aus seiner Wohnung töne seit Tagen laute Musik und er sei leicht verletzt. Als man die Türe öffnete, tanzte Friedemann R. auf einer freigeschaufelten Tanzfläche in seiner überfüllten Wohnung mit einer Faschingsfliege um den Hals Samba.

Zum nächsten Termin kam die Psychologin in Begleitung eines Kollegen. Nach freundlicher Begrüßung habe R. einen Yoghurt gelöffelt, sei stumm auf das Bett gefallen und habe den Besuch fixiert. "Dann sprang er auf, zerrte meinen Kollegen durch den schmalen Gang hinaus aus der Wohnung und sperrte zweimal ab", erzählt die Frau. Er habe sie auf das Bett geworfen, gewürgt und mit irrem Blick gesagt: "Kein Wort, sonst passiert was Schlimmes." Er wollte sie entkleiden, und ihr war klar "ich muss mir selber helfen". Sie biss, schrie und wand sich aus der Umklammerung, schaffte es bis zur Tür, sperrte auf und bekam einen Arm nach draußen, ehe Friedemann R. die Türe zuzudrücken konnte. "Mein Kollege hat mich am Arm aus der Wohnung gezogen und geschrien: ,Lauf!'"

Friedemann R. bedauert "die Tat zutiefst". Er habe in der Klinik eine Zwölf-Punkte-Liste erarbeitet, "dass eine solche Tat nicht mehr vorkommt". Sie reicht von "regelmäßig duschen" über "kaputte Sachen wegwerfen" bis hin zu "regelmäßig Tabletten einnehmen". Ob das das Gericht überzeugt, wird es am Donnerstag bekanntgeben.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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