"Vision Zero":Wie Polizei und KVR die Zahl der Fahrradunfälle verringern wollen

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Nicht nur in der Schwanthalerstraße wird das Radfahren schnell zur Mutfrage. (Foto: Florian Peljak)
  • Obwohl die Unfallzahlen in München insgesamt sinken, steigt die Zahl der schwer verletzten Radler.
  • Laut Polizei-Vizepräsident Werner Feiler trug nur etwa jeder dritte bei Unfällen verletzte Radler einen Helm.
  • Das Präsidium will "verstärkt" uniformierte Fahrradstreifen einsetzen, um gezielt Radfahrer bei Verstößen zu erwischen.

Von Thomas Schmidt

Der Tod des neunjährigen Mädchens, das am Montag auf seinem Kinderfahrrad die Straße überquerte und dabei von einem Lastwagen überrollt wurde, hat auf furchtbare Weise daran erinnert, wie gefährlich es sein kann, mit dem Rad durch München zu fahren. Es ist nicht lange her, da beschloss der Stadtrat im April die "Vision Zero", das "strategische Ziel": keine Schwerverletzten oder Verkehrstoten mehr. Von dieser ambitionierten Vorgabe ist die Stadt indes noch weit entfernt. Das neunjährige Mädchen war in diesem Jahr bereits die achte Verkehrstote im Zuständigkeitsbereich des Münchner Polizeipräsidiums - und die dritte tote Radfahrerin.

Obwohl die Straßen der Stadt immer voller werden, sinkt die Zahl der Verkehrsunfälle mit Radfahrern laut Polizeivizepräsident Werner Feiler seit einigen Jahren kontinuierlich. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei im Stadtgebiet 2462 Fahrradunfälle, 1,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten.

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Obwohl die Unfallzahlen insgesamt sinken, steigt die Zahl der schwer verletzten Radler. 2017 erlitten 247 Fahrradfahrer schwere Verletzungen, ein Anstieg um mehr als 15 Prozent. Die Zahl der getöteten Radler stieg von drei im Jahr 2016 auf vier in 2017. Abgesehen davon, dass das Verletzungsrisiko für Radfahrer ohnehin hoch ist, verzichten viele auch noch auf den wenigen Schutz, den es gibt. Laut Vizepräsident Feiler trug nur etwa jeder dritte bei Unfällen verletzte Radler einen Helm. Noch deutlicher ist es in einem neuen Faltblatt der Stadt formuliert: "91 Prozent aller Handybesitzer schützen ihr Handy mit einer Hülle", schreibt die Stadt. Aber "nur 17 Prozent aller, die auf dem Fahrrad unterwegs sind, schützen ihren Kopf mit einem Helm".

Radfahrer sind aber nicht nur Opfer im Verkehr. Mehr als die Hälfte aller Radfahrunfälle, 55,5 Prozent, wurden durch die Radler selbst verursacht oder zumindest mitverursacht, berichtet die Polizei. Die häufigste Ursache sei das Fahren auf dem Gehweg oder in die falsche Richtung. Bei jedem fünften Unfall spielte Alkohol eine Rolle. Schon 0,3 Promille sind strafbar, wenn sich der Alkohol auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt. Zudem verwarnte die Polizei im vergangenen Jahr mehr als 2400 Radfahrer, weil sie telefonierten. "Niemand weiß, wie viele Unfälle durch so was tatsächlich passieren", sagt Feiler.

Seltener, aber meist gefährlicher sind Unfälle, bei denen Autos oder Laster beim Rechtsabbiegen Radfahrer übersehen, so wie es am Montag der Neunjährigen zum Verhängnis wurde. Im vergangenen Jahr wurden auf diese Weise in München 352 Radfahrer verletzt - das sind fast 14 Prozent aller verletzten Radler - und zwei getötet. Feiler fordert daher auch eine "gesetzliche Regelung", um das "Toter-Winkel-Problem" in den Griff zu bekommen. Und mit dieser Forderung steht er nicht allein: Am 27. April wurde im Bundesrat ein Antrag vorgestellt, mit dem Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und Thüringen auf die verpflichtende Einführung sogenannter Abbiegeassistenzsysteme für Lastwagen drängen - Ausgang offen.

Die Münchner Polizei testet gerade Funktionskleidung für ihre Fahrradstreifen - und die tragen im Gegensatz zum Großteil der Radler selbstverständlich Helm. (Foto: Robert Haas)

In der Zwischenzeit setzt die Münchner Polizei auf Prävention und Kontrolle. Das Präsidium will "verstärkt" uniformierte Fahrradstreifen einsetzen, um gezielt Radfahrer bei Verstößen zu erwischen. Für die radelnden Beamten habe man extra eine neue Funktionskleidung angeschafft. Und weil beim Beamtenapparat alles seine Ordnung haben muss, wird die jetzt vor der Großbestellung ein halbes Jahr getestet. Neue Helme sind natürlich auch dabei.

Das für die Sicherheit zuständige Kreisverwaltungsreferat (KVR) versucht unterdessen, bekannte Unfallschwerpunkte in der Stadt zu entschärfen. Bis Herbst wolle man ein "Maßnahmenprogramm" ausarbeiten, berichtet KVR-Chef Thomas Böhle. Eine "digitale Unfallkarte" solle künftig dabei helfen, riskante Stellen zu erfassen. Böhle spricht umständlich von einer "systematischen Analyse der Knotenpunkte in Bezug auf deren Risikopotenzial". Für die Ecke Schleißheimer und Moosacher Straße, wo das neunjährige Mädchen vom Lkw überrollt wurde, wird die digitale Unfallkarte zu spät kommen. Die Anwohner dort wissen ohnehin auch ohne Karte, wie gefährlich die Kreuzung ist.

An zahlreichen anderen Stellen habe man die Sicherheit für den Radverkehr bereits verbessert, betont Böhle. So etwa an der Ostseite der Schleißheimer zwischen Hohenzollern- und Herzogstraße, auf der Herzog-Heinrich-Straße, dem Kaiser-Ludwig- und dem Georg-Hirth-Platz, am Bavariaring und an der Wredestraße. In diesem Jahr wolle man unter anderem die Implerstraße in Angriff nehmen, die Lindwurmunterführung sowie die Nymphenburger Straße. Besonders gefährdet seien Kinder, deswegen, sagt Böhle, brauche die Stadt dringend mehr Schullotsen. Derzeit habe man 540 ehrenamtliche Helfer, berichtet der KVR-Chef - für 800 potenziell gefährliche Straßenecken.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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