Gärtnern in der Stadt:Urban Gardening: Alte Pflanzen in neuen Beeten

Lesezeit: 4 min

Im Experimentiergarten des ÖBZ wachsen Pflanzen wie das Glückskleerübchen, die sonst fast ausgestorben sind. (Foto: Florian Peljak)

Etwa 50 000 Münchner arbeiten gemeinsam in einer von 800 Gartenanlagen. Die einen pflegen zwei Quadratmeter am Straßenrand, andere experimentieren mit Kompost, Saatgut und alten Sorten.

Von Silke Lode

Auch ganz am Rand ist München noch Stadt. Die Bahn fräst sich von Osten auf mehr als zehn Gleisen eine Schneise ins Zentrum, parallel dazu spuckt das Autobahnende Fahrzeuge in den Richard-Strauss-Tunnel. Die ersten Wohnhäuser haben eine gefühlte Grundstücksgrenze mit dem Seitenstreifen. Und doch gibt es immer wieder kleine Freiräume, die völlig vergessen machen, dass das Herz der Stadt auch hier draußen laut und kräftig schlägt.

Zwischen Denning und dem Arabellapark ist so eine Oase, ein schmaler Grünstreifen, der mit seinen geschotterten Wegen sofort ans freie Feld denken lässt. Wiese, Hecken, dahinter ein Spielplatz, ein Rundbau aus Holz - das Ökologische Bildungszentrum (ÖBZ). Dann wieder Hecken und ein schmales Gartentor, das mit einer Einladung versehen ist: "Der Experimentiergarten steht interessierten Besuchern jederzeit offen."

Urban Gardening
:Sehnsucht nach Grün

Gärtnern ist ein großer Trend - und ein weites Feld für neue Geschäftsideen. Manche setzen auf Hightech und holen sich die Natur ins Haus, andere ackern ganz traditionell. Beides ist nicht immer einfach.

Von Silvia Liebrich

Obwohl es Mittag ist, wird es immer kälter, der große Regen kann jeden Moment da sein. Eine Frau setzt schnell noch einige Pflänzchen mit rotbraunem Stengel und vier kleeblattförmigen Blättern in die Erde. Glückskleerübchen, die gibt es vielleicht nur noch hier. "Wir bauen alte, vergessene Sorten an", erklärt Umweltpädagoge Konrad Bucher, der den Garten betreut. Die Glückskleerübchen werden nicht nur gepflanzt, gepflegt und geerntet - sie werden auch fotografiert und dokumentiert, Besucher können in einem regensicheren Nachschlagewerk lesen, was da im Beet wächst.

Die alten Sorten sind nur eines von vielen Projekten des Experimentiergartens. Angelegt ist der Garten wie ein Schachbrett mit 16 Feldern, auf jeder Parzelle wird ein anderes Thema bearbeitet. Mediterrane Kräuter zum Beispiel, Heil- oder Duftpflanzen. Es gibt Felder für Beeren, Gemüse oder einen Steingarten. Etwas weiter hinten, unter einem großen Baum, wachsen Farne und andere Waldpflanzen im Schattengarten, gegenüber steht ein kleines Gewächshaus.

Doch nicht nur die Botanik ist in diesem Garten besonders vielfältig - auch die Menschen sind es, die hier gärtnern. Die 400 Quadratmeter Land sind ein Gemeinschaftsgarten, Privatparzellen gibt es hier keine, über jedes neue Projekt wird gemeinsam entschieden. Der Grund gehört der Stadt, die ihn zusammen mit weiteren Flächen in der Nachbarschaft langfristig dem Ökologischen Bildungszentrum überlassen hat.

Gartenprojekte
:München ist grün

Wer in der Stadt ackern will, hat viele Optionen - eine Auswahl.

Von Silke Lode

Eine Arbeitsgruppe aus lauter Ehrenamtlichen hat sich dort schon lange einen Garten gewünscht, 2002 konnten sie ihren Experimentiergarten anlegen. "Etwa 40 Menschen arbeiten jedes Jahr mit", schätzt Gartenbetreuer Bucher. Da die Gruppe offen ist, gehen nicht nur Leute, es kommen auch neue dazu. Mehr als 100 Gartenfreunde haben inzwischen schon hier gearbeitet.

"Anfangs waren es vor allem ältere Leute aus der Umgebung", erzählt Bucher. "Die waren der Motor, viele kommen immer noch." Mit der hippen Urban-Gardening-Bewegung hatten sie nichts zu tun - und waren zum Teil durchaus skeptisch, als in den vergangenen Jahren immer mehr junge Leute von Neuperlach bis Schwabing auftauchten, die noch nie eine Kartoffel angepflanzt haben. "Davon ist jetzt nichts mehr zu spüren", sagt Bucher.

Gerade die vermeintlich naiven Städter seien besonders enthusiastisch, sie bringen frischen Wind und politische Themen mit in den Garten. Die einen wissen viel über Anbaumethoden, die anderen über TTIP, Glyphosat und Gentechnik. "Es ist gerade die Mischung, die dafür sorgt, dass unser Garten gut funktioniert", meint Bucher.

Neben den traditionellen Gartenliebhabern und den jungen Städtern arbeiten auch Männer und Frauen mit viel Fachwissen im Experimentiergarten mit. "Eine Frau hat zum Beispiel Gartenbau studiert. Sie gibt extrem viel Wissen weiter und experimentiert hier mit alternativen Düngemitteln", sagt Bucher. Ein anderer Gärtner kenne fast jedes Insekt und freue sich, dass er hier mit Leuten zusammenkommt, die Interesse an seiner Expertise haben.

Eine weitere Frau hat sich zur Samengärtnerin fortgebildet, auf ihre Initiative geht ein Projekt zum Saatguterhalt zurück. Das "Bohnenprojekt", wie es hier jeder nur nennt, sucht vermutlich weltweit seinesgleichen. Angefangen hat alles mit einem Urlaubssouvenir: mit einer Bohnensorte, die es im Handel nicht mehr gibt. Sie wurde im Experimentiergarten gepflegt und erhalten, inzwischen sind etwa 150 weitere Bohnensorten aus aller Welt dazugekommen, die hier gesammelt, archiviert und angepflanzt werden. Längst ist der Garten dafür zu klein geworden. Weil die Samen nur vier oder fünf Jahre keimfähig sind, werden sie an andere Gärtner abgegeben, die sich einen Sommer um die Pflanzen kümmern, ihre Ernte genießen und frische Samen zurückbringen.

"Anfangs haben wir das aus Spaß an der Freude gemacht, inzwischen hat das Projekt für uns auch eine politische Dimension", sagt Bucher. Die Gärtner haben sich darauf geeinigt, auf ihrem Gelände kein Hybridsaatgut zu verwenden. Das war keine ideologische Entscheidung, die Aktiven haben durchaus diskutiert, ob die Regel nicht übertrieben sei, schließlich seien viele Kulturpflanzen Hybride. Aber dann wollten sie ein Zeichen setzen - gegen den Trend, dass die Saatgutindustrie über Hybridsaatgut Monopole schafft. "Landwirte enteignen sich mit Hybridsaatgut selbst", meint Bucher. "Sie können dann nicht mehr ihr eigenes Saatgut verwenden, sondern müssen es jedes Jahr kaufen. Das geschieht weltweit - zum Teil mit Konzept."

Garten-Projekte
:Wenig Chancen für junges Gemüse

An manchen Orten wird die Sehnsucht nach dem Landleben bereits jetzt erfüllt: Doch wenn es nach manchen Grünen geht, sollte überall in München gegraben und gepflanzt werden dürfen. Die Stadt lehnt Urban-Gardening-Projekte im großen Stil jedoch ab.

Von Dominik Hutter

Ein Nebeneffekt ist, dass viele Sorten so schlicht verloren gehen. Auch hier wollen die Gärtner gegenhalten, sie engagieren sich im Verein zum Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt und haben schon zum zweiten Mal ein Saatgutfestival veranstaltet. Mehr als 2000 Besucher sind vergangenen Februar da gewesen, die sich für die alten Sorten interessiert haben.

Das Graben, Pflanzen und Ernten ist für viele Nutzer längst nicht alles. "Natürlich wollen wir eigene, gesunde Lebensmittel produzieren", meint Bucher und sagt ganz offen, dass es auch in München Menschen gibt, die aus finanziellen Gründen froh sind, auf diesem Weg Lebensmittel von hoher Qualität zu bekommen. "Es geht aber auch um eine Idee von Autarkie, von Unabhängigkeit", sagt Bucher. Er will den Garten nicht verklären, weder als einen Flecken heiler Welt noch als Chance, sich vom gesellschaftlichen System unabhängig zu machen: "Da kommt man nicht raus. Aber wer seine eigenen Kartoffeln anpflanzt, kann zumindest eine Idee davon bekommen, wie sich Unabhängigkeit anfühlt."

Ackern und jäten zu therapeutischen Zwecken

Dass Gemeinschaftsgärten in der Stadt noch viel mehr als kleine Grünoasen sind, zeigt sich gleich hinter der nächsten Hecke. Im sogenannten Wabengarten hat ein Kindergarten sein Beet neben dem einer Gruppe junger Flüchtlinge. Auch Menschen mit psychischen Erkrankungen gärtnern hier - zu therapeutischen Zwecken. Wieder ein Stück weiter gibt es einen interkulturellen Frauengarten - einen Ort der Begegnung also, der von Deutschen und Migrantinnen rege genutzt wird.

Inzwischen hat der Regen die Stadt erreicht. Es schüttet, auf Stunden keine Besserung in Sicht. Konrad Bucher nutzt die Gunst der Stunde und sät schnell noch ein paar Bohnen aus. "Optimal" sei der Regen. Dann gehen die Bohnen schnell auf.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: