Zum Todestag von Udo Jürgens:"Udo hat sie immer gekriegt"

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Pepe Lienhard war 37 Jahre lang der Chef von Udo Jürgens' Big Band. Ein Gespräch über heikle Konzertmomente und Jürgens' Gemeinsamkeiten mit Frank Sinatra.

Interview von Philipp Crone

Pepe Lienhard kann so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Schließlich ist es der Job des 69-Jährigen, auf einer Bühne zu stehen und einzugreifen, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Und dazu noch Saxofon oder Querflöte zu spielen, auf seine 25-köpfige Big Band zu hören, und natürlich auf den Solo-Künstler, der bis vor einem Jahr meistens Udo Jürgens hieß.

Jürgens ist am 21. Dezember 2014 gestorben, seit einigen Wochen läuft im Deutschen Theater das Musical "Ich war noch niemals in New York", und der Schweizer Lienhard wird mit der Bigband von Jürgens im kommenden Jahr gleich zweimal an gleicher Stelle spielen. Auch mit der ersten Frage an einem sonnigen Dezembertag im Deutschen Theater geht Lienhard um, als ob Jürgens nur mal eben beim Klavier-Intro aus Versehen die Tonart des nächsten Liedes gewechselt hätte. Er überlegt kurz, und reagiert dann ganz cool.

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Von Hilmar Klute

SZ: Herr Lienhard, Sie wurden vor nicht allzu langer Zeit in Ihrer Heimat Schweiz mit folgendem Satz beschrieben: "Kaum ein Musiker wird schon so lange belächelt." Das nervt, oder?

Pepe Lienhard: Ich denke, da geht es um die sogenannten seriösen Musiker und die Unterhaltungsmusiker.

Sie sind kein seriöser Musiker?

Natürlich. Und das Publikum belächelt uns sicher nicht. Aber in der Branche wurde ja auch Udo als Schlagerfuzzi manchmal belächelt. Wenn man Unterhaltungsmusik macht, wird man eben von den sogenannten richtigen Musikern oft nicht ernst genommen.

Aber die Profi-Musiker müssten doch erst recht wissen, wie musikalisch hochwertig Sie arbeiten.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Musiker, der meine Band einmal gehört hat, über mich lächelt. Wer sich aber nicht die Mühe macht, wer einfach nur urteilt: Samstagabend, Jürgens, Schlager, der lächelt vielleicht. Ich habe es sehr oft erlebt, wie sich das Urteil wandelt.

Wie?

In meiner Big Band sind viele Jazz-Musiker. Und wenn wir zum Beispiel in Köln gespielt haben mit Udo, dann kamen oft Kollegen von der WDR-Big-Band, die dann ganz angetan waren und meinten, da geht es ja richtig ab. Die wären nie in ein Udo-Konzert gegangen normalerweise. Da gibt es schon eine gewisse Ignoranz. Viele wollen gar nicht wissen, was man für Musik macht, und nehmen es nicht ernst.

War Udo Jürgens ein guter Musiker?

Ja sicher. Ein Super-Musiker.

Woran erkennt man das?

Er hat sehr gut Klavier gespielt, er hat unheimlich viele gute Songs komponiert. Nicht ein oder zwei Hits, sondern tausend Lieder hat er geschrieben. Er hatte auch einen unheimlich melodischen Sinn und war ein wahnsinnig guter Performer auf der Bühne. So intensiv. Seine letzte Tournee war mit 80, drei Stunden lange Konzerte, und dabei Zehntausende begeistert, das ist echtes Können.

Was können Sie besser als er es konnte?

Saxofon spielen. Querflöte spielen, eine Partitur lesen. Ich hatte ja auch eine ganz andere Funktion, oder?

Sie der Bandleader, er der Star.

Er hatte mit der Band, so gesehen, nichts zu tun. Außer bei der Entwicklung der Arrangements. Da hat er sich eingebracht.

Wie?

Udo beginnt, indem er allein ein Lied komponiert. Dann sitzt er mit dem Arrangeur zusammen oder dem Produzenten, im Studio wird mit Bass und Synthesiser das Lied aufgenommen. Da wird dann gebastelt, es gibt dann eine erste Version. Und der Arrangeur schreibt die Stimmen für das ganze Orchester.

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Wo es vorher nur welche für Klavier, Bass, Schlagzeug gab zum Beispiel?

Genau. Da hat Udo dann gesagt: An der Stelle stelle ich mir fetzige Bläser vor. Zum Beispiel. Und so schreibt es dann der Arrangeur.

Und Sie kamen bei den Proben dazu?

Das ist mein Job. Vor einer Tour haben wir vielleicht drei oder vier Tage geprobt. Da hatte ich dann die fertigen Noten und ich leite die Proben mit dem Orchester.

Wie läuft so eine Probe? Geht da auch was schief?

Nein. Die spielen alles fehlerfrei perfekt vom Blatt.

Warum muss man dann überhaupt proben?

Bei einem dreistündigen Programm sind das 35 Nummern. Die werden ausgeteilt und man spielt an einem Tag alles durch. Allein schon, um zu checken, ob die Noten alle richtig sind. Dann kommt am zweiten Tag Udo dazu und hört sich das an und sagt: Da ist es zu dicht, das möchte ich lieber alleine spielen, ohne Bläser. Zum Beispiel. Ich zähle ein, dirigiere, korrigiere, wenn einer zu laut spielt.

Und live? Wenn man dann spontan einen Refrain, weil er so gut ankommt, länger spielt, wer entscheidet das?

Das war bei Udo nicht so spontan. Mit 25 Leuten auf der Bühne kann man nicht wie in einer Rockband kurz winken und dann geht es weiter.

Wie haben Sie mit Jürgens kommuniziert?

Ich stand immer am Flügel, er hat mich angesehen. Wenn er mal einen Text-Hänger hatte, war ich sofort da und habe ihm ein Stichwort gegeben. Oder habe gesagt, was als nächstes kommt.

Gab es einen besonders prägenden Moment in den vielen Jahren?

Oft. Udo konnte ja jedes Lied in jeder Tonart spielen. Und manchmal hat er plötzlich in der falschen Tonart sein Intro ganz allein angefangen. Und wir: Oh, der spielt in Cis statt C. Und dann muss ich natürlich gleich eine Ansage machen an die Band.

Und die können das auch spontan?

Ja, ich gebe dann ein Handzeichen (streckt den linken Zeigefinger waagerecht aus und deutet mit dem anderen Zeigefinger nach oben) und dann reagieren wir. Das ist aber in den 37 Jahren und weit mehr als tausend Konzerten nur ganz selten vorgekommen.

Gab es bei Udo eine Tagesform?

Schon. Aber er wollte immer gewinnen. Das Publikum für sich gewinnen. Auch wenn es bei Galas mal schwierig losging. Bei Tournee nicht, da standen ja schon alle, wenn er reinkam. Aber bei einem Gig für Firmen, wo der Boss ein Udo-Fan war, aber viele Udo gar nicht kannten. Und Udo hat sie immer gekriegt.

Woran merkt man das?

Wenn es am Anfang zäh ist, die schauen kritisch, und dann kommt aber eine Stimmung auf und der Applaus wird richtig laut. Er hatte natürlich auch die richtigen Lieder. Einer, der kein Deutsch spricht, schunkelt eben bei "Ich war noch niemals in . . ." trotzdem sofort mit. Oder Udo hat das Programm dann eben umgestellt. Dann hat er ein nachdenkliches Lied wie "Der Drachen", das er sehr gerne gespielt hat, weil es ja auch seine Geschichte war, nicht gespielt, sondern doch einen Hit mehr.

Der Drache handelt von einem Vater, der keine Zeit hat für seine Kinder. Als Tournee-Musiker kennen Sie das Gefühl sicher.

Nein. Ich habe vier Kinder und habe mir immer sehr viel Zeit für sie genommen. Die waren auch schon als Zweijährige dabei auf Tournee und haben hinter der Bühne geschlafen.

Hatte er nicht mal die Schnauze voll von seinen Superhits?

Da gab es mal eine Phase, in den Neunzigerjahren zwischendrin, ja. Am Ende dann aber nicht mehr in den letzten zehn Jahren. Da konnte er jeden Abend "17 Jahr" spielen. Er hatte einen Respekt entwickelt, was die Lieder ihm gebracht hatten.

Und hatten Sie mal eine Phase, als Sie dachten: Dauernd muss ich über Jürgens sprechen?

Nein. Meine Big-Band-Tourneen waren oft ausverkauft in der Schweiz, da hatten wir auch immer unsere Erfolgserlebnisse. Am Anfang hatte ich ja ein Sextett mit einem Hit. Swiss Lady. Das hatte ich schon satt nach einigen Jahren.

Sie standen bei Jürgens aber nie im Rampenlicht. Konnte er denn auch ein wenig Scheinwerferlicht abgeben?

Ja, er hat immer darauf geachtet, dass die Band Soli spielte.

Wie unterschied sich Jürgens denn zum Beispiel von Frank Sinatra , mit dem Sie auch gespielt haben?

Ihre Gemeinsamkeit war, dass sie jeden Gig sehr ernst genommen haben. Bei Sinatra dachte ich, der kommt kurz vor dem Auftritt in Monte Carlo. Von wegen, er war drei Tage vorher da und hat die Band ausgecheckt. Der war so pingelig wie Jürgens. Die ganz Großen respektieren die Musiker besonders und kennen deren Wert.

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Hier der Star, da die Band. In der Kommunikation über die Musik sind alle gleich?

Auf jeden Fall. Udo war auch sehr kollegial. Es ist zwar nicht jeden Abend mit allen hinterher essen. Aber es war meistens so, dass er mal mit den Streichern, mal mit den Bläsern wegging. Er wollte eben auch als Musiker in der Band wahrgenommen werden und nicht als Einzelstar.

Wie waren Whitney Houston oder Shirley Bassey beim Zusammenspielen?

Houston habe ich im besten Moment kennengelernt, nach ihrem ersten Nummer-eins-Hit. Da war sie superschön, superbescheiden und superclean. Ein süßes Mädchen. Ein Jahr später war sie in der Schweiz auf Tournee. Ich wollte ihr Hallo sagen und bin hin. Doch das ging nicht mehr. Die hatte sich total verwandelt, total zickig, eine Primadonna mit einem Tross von Bodyguards. Dabei hatte ich sogar schon mit ihrer Mutter Cissy zusammengespielt.

Aber Sie haben in der Branche doch permanent mit Exzentrikern zu tun.

Klar, aber vieles ist auch gespielt. Viel ist auch die Entourage. Ich habe es so oft erlebt, dass die Stars abgeschirmt werden und man nicht an sie herankam. Und wenn ich dann zufällig doch mit ihnen sprach, waren sie total normal. Auch bei Sinatra war das so.

Welches ist das wichtigste Instrument in einer Big Band?

Das Schlagzeug.

Warum?

Ohne einen guten Drummer geht die Band nicht ab. Natürlich ist auch der Bass wichtig. Wenn ich einen durchschnittlichen Bassist habe und einen super Drummer, geht es ab. Wenn aber der Bassist ausgezeichnet ist und der Schlagzeuger nur gewöhnlich, rockt es nicht. Auch für die Bläser ist der Drummer wichtig.

Warum?

Big Band-Musik tut weh am Mund, die knackigen Einsätze. Da brauchst du einen guten kräftigen Wumms vom Trommler dazu. Doch, der Schlagzeuger ist die Seele einer Band.

Haben Sie ein Ritual nach dem Gig?

Klar, wir gehen einen saufen!

Nach jedem Gig?

Klar, an die Hotelbar, oder? Es trinken nicht alle gleich viel. Manche jeden Abend zehn Bier, andere nicht. Der Groove und die Stimmung der Band kommt darüber, wie man sich auch am Tresen versteht, das war mir immer sehr wichtig. Die Miesepeter erkennt man an der Bar gleich.

Und dann spricht man über den Gig an der Bar?

Nein. Nur wenn etwas nicht gut war. Einen guten Auftritt erkennt man immer daran, wenn hinterher keiner mehr darüber spricht.

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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