Umzug:Die Promille-Parade

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Betrunkene Einhörner, fliegende Tänzer, Delfine, Haie und "Bieraten": Beim Faschingsumzug der Damischen Ritter ist alles dabei, sogar 12 000 Zuschauer lassen sich blicken - nur die Exil-Kölner verspotten die Münchner Narren

Von Philipp Crone

Man kann dieses Schauspiel natürlich so sehen wie der genervte Anwohner am Sonntagmittag in der Sendlinger Straße 58: mäßig einfallsreich verkleidete Menschen mit Alkoholfahne, die zu verzerrter Uralt-Musik aus schlechten Boxen tanzen und frierend pappsüße Billigbonbons aus Schneematschpfützen klauben. Man kann es auch so sehen wie der Kölner Karnevalsverein, der sich kurz vor dem Start des Faschingsumzugs der Damischen Ritter in der Sendlinger Straße eingefunden hat und das selbst komponierte Lied anstimmt: "Karneval in München, das ist Volkstrauertag!" Aber man kann auch fasziniert mit ansehen, wie sich Menschen an einem graukalten Februarsonntag in der Innenstadt verwandeln.

Die Lady-Gracha in Knallfarben sind beim Faschingsumzug dabei. (Foto: Robert Haas)

Drei Einhörnerinnen machen es vor. Emilia, 18, Olivia, 19, und Mirja, 21, schenken sich am Straßenrand Hugo-Rosé in ihre Pappbecher, dass der Nachbar mit seinem Erdbeerlimes neugierig rüberschaut. Was riecht denn da noch süßer? Die drei Frauen aus Fürstenfeldbruck haben sich aufgestellt, in ein paar Minuten rollt der Umzug los, ihr Plan ist klar. "Am Ende verfroren und betrunken sein und ein bisschen von Sinnen", sagt Mirja. Ein blauer Delfin-Papa zieht mit seinem hüfthohen grauen Hai-Sohn vorbei, der so böse schaut, als ob er zur Nachhilfe antreten müsste statt zum Kamelle-Fangen. Doch als der erste Wagen in die Sendlinger Straße biegt, ist der Hai auf einmal high. Mit aufgerissenen Augen lässt er den ersten Bonbonschauer über sich ergehen, sammelt alles auf und steht sofort wieder auf Position an der Bordsteinkante. Er ist einer von 12 000 Zuschauern, die den 1000 Teilnehmern auf 31 Wagen und in 33 Fußgruppen zusehen.

Närrische Annäherung. (Foto: Robert Haas)

"Hol das Lasso raus", dröhnt es von Wagen zwei, als am kleinen Hai ein großes Känguru vorbei latscht, ein Augustiner im Beutel und das Handy im Anschlag. Handys sind an dem Nachmittag ohnehin wichtig, die meisten Facebook-Likes gibt es traditionell für dämliche Verkleidungsselfies. Das Känguru lichtet gerade ein Wikinger-Indianer-Pärchen beim Knutschen ab, da läuft ein Frosch vorbei mit einem Schild: "Wünsch dir was", und man wünscht sich, dass der Mann mit Obelix-Format seine Verkleidung besser zugeschnitten hätte.

Faschings- im Schnee- Treiben: Die Verkleideten sind dem Ruf der Damischen Ritter zum Umzug am Sonntagnachmittag gefolgt. (Foto: Robert Haas)

Der Hai hat mittlerweile mindestens zehn Popcorn-Packungen in seine Jute-Tasche gestopft und will jetzt ein Schokoherz, hüpft also vor dem SPD-Laster auf und ab. Darin steht der Münchner Fraktionsvorsitzende Alexander Reissl und wirft die Schokoherzen mit einer Technik, die Darts-Rekordweltmeister Phil Taylor erblassen ließe. Eins landet genau in der Jutetasche vom Hai. Dann ist Verschnaufpause für den Jungen, die historischen Kleider der Vorstadthochzeit oder die Marktweiber findet er so spannend wie eine Matschpfütze. Nach 15 Minuten läuft bereits zum dritten Mal "Skandal im Sperrbezirk", als der Hai wieder aufschreckt: Eine Tanztruppe hat eine Tänzerin hochgeworfen, dass sie im zweiten Stock ins Wohnzimmer gucken kann (und dann auch wieder aufgefangen). Anschließend tanzen 40 Zwerge einen für den vom Schnee glitschigen Untergrund ordentlichen Macarena.

Die Kapitänscrew hat sogar ein U-Boot mit dabei. (Foto: Robert Haas)

Mittlerweile hat sich neben dem Hai ein Wikinger postiert, der es nicht schafft, gleichzeitig ein Handyfoto zu machen und das Trinkhorn zu halten. Und schon ist der Wagen mit dem Plakat "Bieraten" vorbeigerollt. Gefolgt von einem Papp-U-Boot samt Unterschrift: "Auf der Suche nach der abgesoffenen Jamaika-Koalition". Ein Wagen macht auf den Flächenfraß der Industrie aufmerksam, ein anderer auf den "Mietpreiswahnsinn".

Römer und Ritter, Cowboys und Krokodile, Hexen und Einhörner, alles tanzt und trinkt. Als nach einer Stunde wieder die Sonne scheint, sind die drei Fürstenfeldbrucker Einhörnerinnen schon tief in Faschingsflirts verstrickt, und der kleine Hai mit fetter Beute auf dem Heimweg, und jeder auf seine Art etwas von Sinnen.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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