Tourismus in München:Eine Standuhr für 100 000 Euro

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"Es ist normal, für 20 Leute etwas mitzubringen": Chinesische Touristen geben viel Geld aus. (Foto: Stephan Rumpf)

Von allen ausländischen Gästen geben Chinesen das meiste Geld in München aus. 513 Euro sind es am Tag. Davon kaufen sie Knoblauch-Kapseln, Messer - und gelegentlich sehr teure Dinge.

Von Anna Hoben

Vier Messer liegen schon in dem blauen Einkaufskorb, also, was heißt da Messer: Hackebeile für die Küche trifft es eher, mit Klingen fast so breit wie lang - chinesische Kochmesser, made in Germany. Zwei für sich und ihren Mann, zwei für die Tochter und deren Freund, erklärt die Frau, die jetzt ihr Smartphone zückt und eine App namens WeChat öffnet, Marktführer unter den Messengerdiensten in China, eine Art Alleskönner-WhatsApp, mit dem Chinesen auch einkaufen, Reisen buchen oder ein Taxi bestellen.

Auf dem Display erscheint eine junge Frau, die Anruferin redet im Stakkato auf sie ein, woraufhin die junge Frau auf die Anruferin einredet, dann gibt die Anruferin das Handy an eine Verkäuferin weiter, woraufhin diese auf die junge Frau einredet. Man guckt staunend hin und her wie bei einem Tischtennisspiel und ist dankbar, als es eine Erklärung gibt: Es gehe um die Bezahlung. Um nämlich in den Genuss der ausgeklügelten Mehrwertsteuerrückerstattung zu kommen, brauchen die Einkaufenden ein Konto beim mobilen Bezahldienst Alipay. Die Einkaufenden, Shuying Liu und Huairong Wang aus der Provinz Gansu im Nordwesten Chinas, sind um die 60 Jahre alt, sie nutzen zwar Smartphone und Chat-Apps, aber fürs Bezahlen sind sie nun auf das Handy-Bezahlkonto ihrer Tochter angewiesen.

Tourismus
:Ein Tag mit chinesischen Touristen

Einige Geschäfte sind bereits auf die spendablen Kunden eingestellt.

"Es ist normal, für 20 Leute etwas mitzubringen"

Liu und Wang stehen inmitten von Töpfen und Pfannen, Messern und Knoblauchpressen im Hauptgeschäft von Germanstyle am Isartor. Die von Chinesen geführte Firma ist spezialisiert auf Chinesen, die in Deutschland einkaufen. Es ist im Prinzip ganz einfach, sagt Fan Yu, Gesellschafter und Geschäftsführer von Germanstyle: Wer nach Europa reist, bringt Mitbringsel mit, so gehört es sich, "zwangsmäßig", sagt Yu.

Nun haben Mitbringsel in China eine etwas andere Bedeutung als in Europa. Mit einem Schlüsselanhänger oder einem billigen Schnapsglas samt Städtenamen darauf gibt sich der zu Hause gebliebene Verwandte oder Freund nicht zufrieden. Es muss etwas Ordentliches sein, etwas mit Wert, ein deutsches Qualitätsprodukt eben. Und davon gerne mehr. "Es ist normal, für 20 Leute etwas mitzubringen", sagt Fan Yu.

Der 53-Jährige ist in China aufgewachsen, kam einst als Student der Agrarökonomie nach Stuttgart und lebt nun schon lange in München, das seiner Ansicht nach alles hat, was eine Großstadt braucht, nur eines nicht: ein gutes chinesisches Restaurant. Nach dem Studium rutschte er in die Reisebranche hinein. Um die Jahrtausendwende herum, chinesische Touristen waren damals ein relativ neues Bild in deutschen Städten, habe er gemerkt, "dass der Chinese viel einkauft in Paris, Mailand oder London". Er wusste, dass seine Landsleute eine ganze Menge von deutscher Qualität halten, dass sie deutsche Autos lieben, und fragte sich: Würde es sich nicht lohnen, in Deutschland einen Laden für Chinesen aufzumachen, ein Geschäft mit Produkten "made in Germany zum Mitnehmen"?

Knoblauch-Kapseln, Fischöl-Kapseln, Blütenpollen-Kapseln

Es lohnte sich. Im Jahr 2004 öffnete die erste Filiale der Germanstyle Trade & Shop GmbH am Isartor ihre Türen, mit Haushaltswaren und Kochutensilien. Über die Jahre ist die Firma gewachsen, heute sind es sieben Geschäfte, vier davon in München, die übrigen in Köln und Frankfurt. 100 Menschen arbeiten für das Unternehmen, mehr als die Hälfte davon in München. Einkäufer, Storemanager und Uhrmacher sind Deutsche, die Verkäufer fast nur Chinesen. Deren Landsleute können am Isartor nun nicht mehr nur Töpfe und Messer erwerben, sondern auch Koffer, teure Uhren, Modeschmuck, Schweizer Taschenmesser mit chinesischen Sternzeichen und Nahrungsergänzungsmittel: Knoblauch-Kapseln, Fischöl-Kapseln, Blütenpollen-Kapseln.

Dinge, die in China deutlich teurer sind. Die Tür von Geschäft Nummer zwei, dem Juwelier, wird von einem Türsteher geöffnet. Hier gibt es Armbanduhren mit Ziffernblatt aus Meissener Porzellan und zwei Meter hohe Standuhren. Die größere für 270 000 Euro habe er leider noch nicht verkauft, bedauert Yu, die kleinere für 100 000 Euro hingegen, "die wird öfter mitgenommen", also zum Kunden nach China geliefert. Die Kaufentscheidung, auch in dieser Preisklasse, falle manchmal innerhalb von zwei Minuten.

513 Euro gibt ein chinesischer Tourist im Durchschnitt pro Tag aus

Unter allen Touristen sind es die Chinesen, die am meisten Geld in München lassen. Das hat im Frühjahr eine Studie ergeben. 513 Euro gibt ein chinesischer Tourist im Durchschnitt pro Tag aus, deutlich mehr als Shoppingtouristen aus arabischen Ländern mit 367 Euro. Sie kaufen bei den Einzelhändlern in der Altstadt ein, Kaufingerstraße, Neuhauser Straße, Stadtführer bieten extra Einkaufsberatungen an. Rund 100 000 Touristen finden jedes Jahr den Weg zu Germanstyle, sagt Yu. Die Firma hat Abmachungen mit diversen Reiseveranstaltern, schon im Bus werden die Touristen auf die Produkte vorbereitet, die sie zu sehen bekommen.

Die Hauptsaison dauert von Mai bis Oktober, aber nach Flaute sieht es Anfang November noch nicht gerade aus. Raus aus dem Bus, rein in die Geschäfte, Beratung über Woks und Edelstahlseifen, ab an die Kasse, mit vollen Tüten wieder raus, warten, bis der Bus wieder abfährt. Ins Gespräch zu kommen ist nicht einfach, jedenfalls mit der Generation Ü50. Sie seien schüchtern, erklärt Jin Yu, die Assistentin des Geschäftsführers Fan Yu, außerdem sprächen sie meist kein Englisch, anders als die jüngeren Leute, die gerne plaudern und nach dem Gespräch sofort ein gemeinsames Selfie machen wollen.

Fünf europäische Länder in zwölf Tagen

Da ist zum Beispiel Yaxuan Wang, 28 Jahre alt, sie steht vor einem Regal mit Swarovski-Schmuck. Es ist Wangs erster Tag in Deutschland, gerade ist sie in München angekommen, und sie hat einen Plan. Der geht so, dass sie auf ihrer Europareise 3600 Euro ausgeben will, ein Drittel davon ist für Deutschland reserviert. Eine Liste hat sie nicht, aber den Auftrag, Fotos nach Hause zu schicken, wenn sie etwas Schönes sieht. Wang ist Teil einer 40-köpfigen Gruppe, deren junger Reiseleiter leicht nervös wirkt, als alle in die Geschäfte ausschwärmen, ein bisschen wie ein Grundschullehrer, der zwei Dutzend Kinder in Schach halten muss.

Chinesische Touristen haben nicht viel Zeit, die meisten besuchen fünf europäische Länder in zwölf Tagen, in München halten sie sich manchmal nur wenige Stunden auf. Einkaufen ist ein wichtiger Bestandteil der Reise, aber im größeren Zusammenhang gesehen ist es nur "eine kleine Aufgabe", sagt Fan Yu. Größere (also wichtigere) Aufgaben in München: "Bier, Hofbräuhaus, Deutsches Museum." Chinesen hätten schon vor der Reise eine Vorstellung von bayerischer Kultur und Traditionen. "In China sieht man im Fernsehen jedenfalls deutlich mehr Filme über Bayern als in Bayern über China." Yu lacht sein glucksendes Lachen.

Der Reiseleiter schaut auf die Uhr. Marienplatz und Hofbräuhaus haben sie schon geschafft, gleich geht es zum Mittagessen in ein Asia-Buffet-Restaurant, dann weiter nach Füssen. Ein junges Paar macht noch ein Selfie mit einem gelb gefärbten Ahornblatt. Dann steigen sie in den Bus.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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