"Tindersticks" in München:Die Lieblingsband, die nie Mainstream wird

Lesezeit: 3 min

Man glaubt Frontmann Stuart Staples, dass da etwas ganz tief aus ihm spricht. (Foto: Ralf Dombrowski)

Seit 25 Jahren machen die Tindersticks große, melancholische Musik. Trotzdem kennen sie nur wenige. Ihr Konzert in den Kammerspielen zeigt: zu unrecht.

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Die Neunziger waren ein großartiges Jahrzehnt, um aus Großbritannien zu kommen und musikalisch erfolgreich zu werden. Oasis, Blur, Radiohead: Aus Schulbands wurden Stadionbands, und Britpop wurde zum Begriff, der alles zusammenhielt.

Parallel gründete sich 1991 in Nottingham eine Band, die ganz anders war, und die heute, 25 Jahre später, immer noch nichts von ihrer Stärke verloren hat: die Tindersticks. Im Januar haben sie ihr elftes Album "The Waiting Room" veröffentlicht. Und nun sind sie nach München gekommen.

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Eine Konzertkritik in fünf Punkten:

1. Warum man da war

Weil man die Band früher schon gut fand und gar nicht oft genug sehen kann, wie sich diese mittlerweile ernsthaften älteren Herren in Trance spielen. Weil einem gute Freunde einmal sämtliche Alben ungefragt auf die externe Festplatte kopierten.

Weil man von allzu fröhlicher Musik Kopfschmerzen bekommt, Melancholie für einen Glückszustand hält und verstanden hat, wie nah Lust und Verzweiflung beieinander liegen. Und dass das mit Tinder nichts zu tun hat.

2. So war es dann wirklich

Wie im Traum. Immer wieder geht es um die Liebe, um die Leere danach und den Abgrund daneben und um das, was hätte sein können. "Boobar, come back to me, I know you feel the pain that I feel", singt Frontmann Stuart Staples. Ewige Assoziationsketten führen von düsterer Verzweiflung bis zu getriebener Ausgelassenheit. Bei "We are dreamers", das live viel bombastischer wirkt als auf dem Album, steigert sich die Band in einen Rausch. Ohne Angst vor Dissonanzen scheinen sich die Musiker beinahe zu verlieren. Oben oder unten, vorne oder hinten - alles egal.

Und diese Stimme! Staples, mittlerweile 50, ist in den letzten Jahren ein bisschen grauer geworden, mit seinem hängenden Schnurrbart sieht er aus wie ein trauriger Seelöwe vor dem Mikrofon. Und er klingt, als könne er jeden Einzelnen im Publikum mithilfe seines Baritons in eine Wolldecke wickeln, auf einen Plüschsessel setzen, warmen Tee mit Honig in der Hand oder gleich drei Flaschen Rotwein.

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Chamber Pop ist die Musik der Tindersticks genannt worden, Chanson-artig, Alternative in jedem Fall. Bassist Dan Milkanna und Schlagzeuger Earl Harvim steuern immer wieder Gesangspassagen bei, und Neil Fraser scheint einfach gleich mit der Gitarre zu singen und übernimmt live das, was auf dem Album Streicher und Bläser leisten. David Boulter spielt nicht nur Klavier, sondern auch Glockenspiel. Diese Band schafft es, dass das nicht kitschig wird.

Die Tindersticks haben schon öfter Filmmusik geschrieben, vor allem für die französische Regisseurin Claire Denis. Beim neuen Album "The Waiting Room" ist es umgekehrt: Zuerst war die Musik da, dann kam der Film dazu. Ein Video für jeden Song des Albums, gedreht von verschiedenen Filmemachern. Diese Kurzfilme bekommt der Zuschauer in den Kammerspielen - anders als etwa in Berlin - nicht live auf der Leinwand zu sehen.

Aber das ändert kaum etwas. Er produziert sie selbst, im eigenen Kopf. Die Songs der Tindersticks erzählen von Trauer, Abstumpfung und Abhängigkeit: "Medicine you need/ to keep you on your feet/ it keeps you down half mind", singt Staples, und "We touch through glass/ We feel nothing". Schade nur, dass er so dahin nuschelt, dass man ihn kaum versteht. Die Texte hätten es eigentlich verdient.

Spots leuchten die wechselnden Bandmitglieder aus. Dass man an diesem Abend im Theater sitzt, bleibt ständig präsent. Überhaupt: Man sitzt. Anders kann man sich ein Tindersticks-Konzert auch kaum vorstellen. Die Band tritt eher in Konzertsälen auf als in Hallen.

Zwischen den Titeln: Jubel. Währenddessen: Komplette Stille. Gegen Ende dann, vor allem bei "Fire of Autumn" und "Show me Everything" vom 2012er-Album "The Something Rain", steigert sich trotzdem das Kopfwippen ringsum, einige hält es offenbar kaum auf den Sitzen. Nicht nur die Band ist etwas älter an diesem ausverkauften Abend. Wer hier im Publikum sitzt, strahlt die Aura des Eingeweihten aus. Trotz 25-jährigem Bestehen kennen die Tindersticks nur wenige.

3. Das war der beste Moment

Als es Stuart Staples bei "The other Side of the World" überkommt. Gerade sah er noch unbeweglich aus, jetzt zuckt die linke Hand, krallt das Hemd fest, die rechte zieht das Plektron aus der Sakkotasche, schlägt die Saiten an, er wiegt sich im Rhythmus, legt sich hinein - und Stuart Staples tanzt.

Kurz darauf ist es schon wieder vorbei, ein gehauchtes "Thank you", mehr wird er an diesem Abend auch nicht sagen. Aber bei allem Understatement, aller Zurückhaltung, mit der die Band sich inszeniert: Man glaubt ihm, dass da etwas ganz tief aus ihm spricht.

4. Nichts für Sie gewesen wäre es, wenn...

...Sie ein Problem damit haben, dass die Musiker auf der Bühne Sakkos tragen. Und Ihnen unablässig steigernde Wiederholungen und sich überlagernde Melodien einfach zu viel des Guten sind.

5. Und, wird das noch was mit dem großen Erfolg?

Wohl kaum. Das ist zwar nicht gerecht. Aber etwas Gutes hat es immerhin. Denn bekanntlich ist es ja so, dass Fans, die etwas auf sich halten, ihre Begeisterung verlieren, sobald die jeweilige Band "zu Mainstream" wird. So war das bei den meisten Britpop-Bands, so war das bei Coldplay, bei Kings of Leon, den Arctic Monkeys und vielen anderen. Den Tindersticks würde man dieses Schicksal gerne ersparen.

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