Thalkirchen:Beschuss in der Waschmaschine

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27 Behandlungen braucht Heinz Ehard im sogenannten Gantry. Jede von ihnen dauert zwischen 15 und 20 Minuten. (Foto: Florian Peljak)

Im "Protonen-Therapie-Center" behandelt Hans Rinecker Tumorpatienten mit einer neuen Methode

Von Stephan Handel

Ganze 27 Mal muss Heinz Ehard in die Waschmaschine. 27 Mal wird er auf eine Vakuum-Matratze geschnallt, dann kommt er auf eine Liege, und dann ist er allein in diesem riesigen Gerät, das tatsächlich an eine Waschmaschinentrommel erinnert, wenn auch an eine sehr große. 150 Tonnen wiegt die Trommel, aus ihr schießen Protonen auf Heinz Ehards Wirbelsäule. Das Höllengerät steht in Thalkirchen, jenseits der Straße fließt der Isarkanal ruhig vor sich hin, rundherum stehen Wohnhäuser. Hier hat Hans Rinecker vor sechs Jahren sein "Protonen-Therapie-Center" eröffnet, nur ein paar Hausnummern von der altehrwürdigen Rinecker-Klinik entfernt, die sein Vater vor 80 Jahren gegründet und die der Sohn heuer im Frühjahr an die Artemed-Gruppe verkauft hat.

Seitdem konzentriert er sich auf die Bestrahlung mit Protonen zur Behandlung von Tumoren - wie bei Heinz Ehards Wirbelsäule. Bei ihm hatte sich der Krebs am dritten Lendenwirbel breitgemacht. Vor zwei Jahren wurde er operiert, der Tumor entfernt, weil aber der Wirbelkörper zusammengesunken war, wurden zwei Schrauben und ein Metallstab zur Stabilisierung angebracht. Dann rieten die Ärzte im Klinikum Ingolstadt zur Bestrahlung, um eventuell verbliebene Reste des Tumors aufzulösen.

Die Protonen-Therapie, wie sie Hans Rinecker in Thalkirchen betreibt, hat gegenüber herkömmlicher Röntgen-Bestrahlung einen entscheidenden Vorteil: Röntgenstrahlen werden beim Eindringen in den Körper stark abgeschwächt. Um tieferliegende Schichten zu erreichen, muss die Anfangs-Dosis entsprechend hoch sein - mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass die Strahlen auf ihrem Weg zum Ziel gesundes Gewebe durchqueren und dieses eventuell schädigen. Protonen hingegen erreichen ihre höchste Intensität erst nach einer gewissen Strecke - ein physikalischer Effekt, der nach seinem Entdecker Bragg-Peak benannt ist. Damit lässt sich sehr genau steuern, wo der Strahl seine Wirkung entfaltet.

Bei Heinz Ehard liegt die zu bestrahlende Region nahe an den Nieren, und die sind recht empfindlich, was Röntgen-Beschuss angeht. Ein Idealkandidat also für Protonen-Therapie - mit einem kleinen Manko: Um den Strahl an den richtigen Ort zu bringen, benötigen die Ärzte und die Medizin-Physiker eine Computertomographie. Das dabei entstehende Bild wird jedoch gestört von Metall-Gegenständen - wie den Schrauben und dem Stab in Heinz Ehards Wirbelsäule. So musste er noch einmal unters Messer: Die Stabilisatoren aus Titan wurden entfernt und durch identische aus Carbon ersetzt.

Die Krankenkasse bezahlt die Behandlung; 27 Sitzungen kosten gut 21 000 Euro. Dazu ist Heinz Ehard jedes Mal 15 bis 20 Minuten in der sogenannten Gantry, 120 bis 160 Sekunden wird er beschossen. Die Waschmaschinentrommel dient dabei der Positionierung des Strahls. Ob's geholfen hat, wird er erst in einem Jahr wissen. Hans Rinecker hingegen ist sicher: "Wir erwischen 90 Prozent des Tumors", sagt der Arzt. "Röntgen-Bestrahlung kommt auf höchstens 60 Prozent."

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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