SZ-Nacht der Autoren:Teelicht, Streiflicht, Augenpinkelfrosch

Lesezeit: 3 min

Mehr als 2000 Besucher kamen zu der SZ-Nacht der Autoren. In der Allerheiligenhofkirche führte Wirtschaftschef Marc Beise ein Streitgespräch mit Silvia Liebrich. (Foto: Catherina Hess)

Bei der "Nacht der Autoren" verraten SZ-Redakteure, wie sich eine Weltmeisterschaft im Dschungel anfühlt, warum es wichtig ist, ein Verfassungspatriot zu sein, und was die Süddeutsche Zeitung in naher Zukunft alles plant.

Von Tom Soyer

Ich lese Ihre Zeitung seit mehr als 30 Jahren . . ." - so beginnen viele Zuschriften an die SZ. Derart glückliche Frühstücks-Langzeitbeziehungen wollen gepflegt sein, etwa mit der jährlichen "Nacht der Autoren", bei der Leser hinter die Kulissen blicken können. Chefredakteure diskutieren mit dem Publikum, vorübergehend hebt sich sogar der Schleier des Anonymen fürs "Streiflicht", wenn die Autoren ihre Stücke in der Allerheiligen-Hofkirche vortragen und dafür donnernden Applaus erhalten. Mehr als 2000 Menschen ziehen am Samstagabend zu sechs reizvollen Orten in der Münchner Innenstadt, vom Silbersaal im Deutschen Theater bis zur Residenz, und genießen 28 SZ-Lesungen. Vier Beispiele:

Das Freihandelsabkommen

Offene, hierarchiefreie Diskussionskultur führen Wirtschaft-Ressortchef Marc Beise und Wirtschaftsredakteurin Silvia Liebrich in der Allerheiligen-Hofkirche mit Moderator Carsten Matthäus vor. Beise verteidigt das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) und sieht darin Chancen im Verhältnis zu den USA, Liebrich warnt vor zu viel Geheimniskrämerei und einer Wohlstands-Verheißung, die nur Großkonzernen nützte. Beise wiederum sieht Vorteile fürs Exportland Deutschland und hält Vertraulichkeit auf dem Weg zu einem Abkommen zwischen Europa und USA für "ganz normal". Einig sind sich alle, dass die umstrittenen Investitionsschutz-Regeln, über die private Anwälte als externe Schiedsrichter entscheiden sollen, hochproblematisch seien. Beim Leservotum am Ende halten sich TTIP-Befürworter und -Gegner in etwa die Waage - vielleicht mit leichten Vorteilen der Gegner.

Fuck you, Grundgesetz

Heribert Prantl, Mitglied der SZ-Chefredaktion, spricht über das Grundgesetz. (Foto: Catherina Hess)

Natürlich sind echte SZ-Leser entsetzt: Pfeift Heribert Prantl (Innenpolitik-Chef und Mitglied der Chefredaktion) plötzlich aufs Grundgesetz? Er, der zu dessen streitbarsten Verteidigern zählt? Prantl beruhigt die weit mehr als 300 Fans im Lenbachhaus-Saal: Den Film "Fack ju Göhte" sahen sieben Millionen Menschen - so einen Publikumserfolg wünscht er dem deutschen Grundgesetz in dessen 65. Jahr. Es sei mehr denn je gefordert, wenn etwa der Nato-Partner USA seine unverschämte Ausspähung über die NSA betreibe - das sei dann schon mit "Fuck you, Grundgesetz" zu umreißen. Prantl erhält viel Applaus. Etwa, als er das Bundesverfassungsgericht schilt, weil es "der Politik beim Asylrecht nachgegeben" habe. Das sei einst "Leuchtturm" gewesen, jetzt nur noch "eher so ein Teelicht". Stolze Grundrechte dürfen nicht zu "bettelnden Grundrechten" verkommen, mahnt er und wünscht sich mehr Empörung gegen die "anlasslose Ausspähung" durch die NSA. Natürlich gebe es "Handy-Posaunisten" (etwa den lauten Telefonierer im Zugabteil) und "Internet-Exhibitionisten". Das berechtige aber niemanden, der ganzen Gesellschaft die Privatsphäre zu nehmen. "Die Bürgerrechte sind die besten Garantien für unsere Sicherheit, das haben uns die Amerikaner ja gut beigebracht."

Die Zukunft der Zeitung

Was plant die Zeitung in naher Zukunft? Darüber sprachen Wolfgang Krach (links), der stellvertretende SZ-Chefredakteur, und Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Süddeutsche.de. (Foto: Catherina Hess)

Die gedruckte SZ erreicht jeden Tag 1,2 bis 1,3 Millionen Leser, hat ihre treuesten Leser in der Altersklasse "Ende 40" (Print) und bei der Online-Ausgabe schwerpunktmäßig in der Altersgruppe "25 bis 30". Zudem lesen inzwischen rund 30 000 Menschen die SZ täglich auf dem Tablet-PC. So skizzieren Wolfgang Krach und Stefan Plöchinger als Mitglieder der SZ-Chefredaktion die Lage. Auflagenverlust gibt es auch bei der SZ, sagt Krach im Sitzungssaal des Münchner Stadtrats, und beantwortet mit dem Online-Spezialisten Plöchinger viele kritische Leserfragen. Auch die, ob die SZ noch schwarze Zahlen schreibe. Im Gegensatz zur FAZ ja, sagt Krach. Damit das so bleibt, werde in den kommenden Monaten auch das Angebot auf SZ.de kostenpflichtig werden, kündigt Plöchinger an. Die Print-SZ indes bleibe ein lebendiges Medium. Wolfgang Krach bekennt sich zur Papierzeitung: "Ich glaube nicht, dass ich es erlebe, dass es die nicht mehr gibt." Und sie werde auch ausgebaut: "Wir werden die Wochenendausgabe in wenigen Wochen so verändern, dass Sie noch mehr Lesegenuss haben."

Der große Kick

Die SZ-Sportredakteure Claudio Catuogno, Boris Hermann und Christoph Kneer bei der "Nacht der Autoren" (Foto: Catherina Hess)

Dass SZ-Sportredakteure begnadete Stimmen-Imitatoren (Ursula von der Leyen, Franz Beckenbauer, Oli Kahn, Giovanni Trappatoni) sind, wissen die begeisterten Besucher der Karmeliterkirche nun. Denn dass Deutschland in Brasilien Fußballweltmeister wurde, ist ja bekannt - den Weg dorthin hat aber kaum jemand so fulminant-heiter aufgezeigt wie die Redakteure Claudio Catuogno, Boris Herrmann und Christof Kneer. Etwa mit einer erfundenen Anne-Will-Sendung oder einem fiktiven SMS-Austausch zwischen US-Trainer Jürgen Klinsmann ("Unentschieden waere geil, Alter") und Jogi Löw ("Vielleicht klappt's ja. Nur zufällig natürlich") - das Match endete 1:0 für Deutschland. Oder mit Boris Hermanns Berichten aus dem Amazonas-Dschungel, wo es gefährliche Frösche gibt, "die Angreifer zwischen die Augen pinkeln", sowie Krokodile, die man am besten am Nacken fasst, falls nötig. Zudem über einen arg bayerischen Biergarten im Dschungel bei Manaus, wo es beim sehr einsamen Public Viewing des Spiels Deutschland- Ghana Kellner mit Oktoberfesthüten gibt - und zwei interessante Menüs: "Menu München" mit Frankfurter Würschtel und "Menu Berlim" (sic!) mit Weißwurst. Ja, Weltmeister-Deutschland hat es bis weit in die Welt hinaus geschafft.

© SZ vom 15.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: