SZ-Adventskalender:Ohne Küche, ohne Kühlschrank

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Bei Paul O. kam vieles zusammen: Scheidung, Schulden, Wohnsorgen

Von Thomas Anlauf, München

Plötzlich ist da dieser Abgrund: Scheidung, Schulden, fristlose Wohnungskündigung - "dann stehst du da und schaust dumm aus der Wäsche". Paul O. hat in diesen Abgrund geblickt. Der 69 Jahre alte Münchner sitzt vor einer Tasse Tee im Café Münchner Freiheit und sinniert. "Ich bin da reingerauscht", sagt er. So wie es vielen Menschen ergehen könnte, wenn mehr als eine Sache auf einmal schiefläuft im Leben. Denn O. hat immer ein geregeltes Leben geführt. Sicherlich, viel Geld hatte er eigentlich nie, aber es reichte eben.

Eigentlich wollte O., der in einem Dorf nahe dem Chiemsee aufwuchs, Jurist werden. Also ging er nach der Mittleren Reife aufs Gymnasium und begann schließlich in Innsbruck mit dem Jura-Studium, was sich aber als falsche Wahl herausstellte. "Das war nichts für mich", sagt er heute. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität wechselte er dann zu den Soziologen. Doch kurz vor den Abschlussprüfungen musste er aus dem Studentenwohnheim ausziehen und sich eine teure Wohnung suchen. Um die zu finanzieren, begann er als Taxifahrer zu arbeiten und warf das Studium hin.

Dabei ist er geblieben, seit mehr als drei Jahrzehnten. Und er ist eigentlich ganz gut gefahren mit dem Beruf. Er heiratete schließlich, doch als sich das Paar nach sechs Jahren wieder scheiden ließ, nahm seine Ex-Partnerin kurzerhand die komplette Kücheneinrichtung samt Kühlschrank mit. Für eine Neuanschaffung fehlte O., der damals bereits 63 Jahre alt war, das nötige Geld. Also aß er von da an auswärts, meist bei einem günstigen Vietnamesen. Besser wurden seine finanziellen Verhältnisse dadurch natürlich nicht.

Der 69-jährige Paul O. bekommt nur 275 Euro Rente. (Foto: Catherina Hess)

Wegen Mietschulden drohte ihm schließlich die Obdachlosigkeit, sein Vermieter wollte ihn rauswerfen. Vor Gericht konnte das der Anwalt von O. gerade noch abwenden, die städtische Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit übernahm auf Darlehensbasis die Monatsmiete von 695 Euro. Doch das Darlehen muss er nun häppchenweise abzahlen, ebenso die Kosten für das Räumungsverfahren, etwa 2000 Euro. Doch damit nicht genug: Drei Monate lang hatte O. auch keine Krankenkassenbeiträge bezahlt, die Kasse fordert nun 1800 Euro nach. Dabei hat der 69-Jährige nur 275 Euro Rente, weil er nur wenig eingezahlt hatte. "Ich muss ja arbeiten, sonst könnte ich von dem Geld gar nicht leben", sagt O.

Die Arbeit mache ihm aber immer noch Spaß, und so kommt er wenigstens unter Menschen. Den ganzen Tag in seiner Wohnung zu sitzen, ohne Küche und nur ein paar Euro pro Tag zur Verfügung, das kann er sich überhaupt nicht vorstellen. "Ich bin froh, dass ich noch Taxi fahren kann", sagt er.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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