SZ-Adventskalender:Guter Ton

Lesezeit: 3 min

Vor der Probe werden die bis zu 170 Choristen von Ulrike Buchs-Quante geherzt. Bei "Oh Happy Day" geht es sehr liebevoll zu. (Foto: Johannes Simon)

Ulrike Buchs-Quante leitet den Inklusionschor "Oh Happy Day". Hier singen 170 Menschen mit und ohne Behinderung - das ist deutschlandweit in dieser Form einmalig

Von Anna Landefeld-Haamann, München/Fürstenfeldbruck

Es gab eine Phase im Leben von Ulrike Buchs-Quante, in der sie Menschen mied, in der es ihr eine unendliche Qual bedeutete, eine Straße zu überqueren. Diese Panikattacken, sagt sie, seien auf einmal da gewesen. Was da aus dem Nichts gekommen war, blieb für acht Jahre. Es bedeutete das Karriereende für die damals 35-jährige Mezzosopranistin und jüngste Professorin für Gesangspädagogik am Mozarteum in Innsbruck. "Jemals wieder singen oder auf einer Bühne stehen? In dieser Zeit war das für mich unvorstellbar", sagt Buchs-Quante zurückblickend.

Knapp zehn Jahre nach den ersten Panikattacken kann man eine Ulrike Buchs-Quante erleben, die wieder vor Energie und Lebensfreude nur so strotzt. Kraftvoll ist ihr Dirigat, unermüdlich und synchron schlagen die Arme den Takt. Im Takt wippt auch das buschige, eichhörnchen-rote Haar, stampfen die Beine in den karierten Hosen. Nur ab und zu schnellt ihre Rechte heraus wie bei einem Boxer, damit auch ja niemand seinen Einsatz verpasst. Siebzig Augenpaare folgen ihr, siebzig Ohrenpaare hören auf ihre Befehle ("Bitte mutiger!", "Nächstes Mal früher einsetzen!", "Sehr gut!"). Es ist Chorprobe in der Aula des Fürstenfeldbrucker Graf-Rasso-Gymnasiums. Es ist Ulrike Buchs-Quantes Gospelchor Oh Happy Day, der hier für acht Stunden sein Bestes geben wird, denn in einer Woche ist Konzert. Die konzentrierte Arbeit zahlt sich aus - erst Ende Oktober wurde der Chor mit dem bayerischen Miteinander-Preis des Sozialministeriums ausgezeichnet. Der SZ-Adventskalender für gute Werke unterstützte Oh Happy Day in der Gründungsphase finanziell, die Mittel stammten aus dem Projekt "Musik für alle Kinder".

Die Idee für einen Chor entstand in der Zeit der Panikattacken. Nicht irgendein Chor sollte es sein - vielmehr ein "Ort zum Aufblühen für Menschen in einer schwierigen Lebensphase", umschreibt es Buchs-Quante, die in München mittlerweile wieder als Sängerin und Gesangslehrerin arbeitet. Doch so begeistert wie Buchs-Quante und ihre Mitstreiterin, die Choreografin und Tanzpädagogin Stephanie Felber, waren zunächst nicht alle. Die Caritas, der sie das Projekt im Jahr 2013 vorgeschlagen hatten, zögerte und lehnte ab. Als einziger war Thilo Wimmer begeistert, Leiter der Caritas Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung in Fürstenfeldbruck. Er sagte zu, unter einer Bedingung: Ein Inklusionschor sollte es sein, in dem Menschen mit und ohne Behinderung, gleich ob seelisch, geistig oder körperlich, gemeinsam singen. Ein Chor, in dem jeder die gleichen Chancen erhält, egal ob er eine Beeinträchtigung hat oder nicht.

"So recht wusste ich nicht, was ich davon halten soll. Ich bin ja keine Sozialpädagogin. An der Musikhochschule hatten wir ein paar blinde Kommilitonen, aber das war es dann auch schon. Ich war mit dem Thema Behinderung nie in Berührung gekommen, auch nicht in der Familie", sagt Buchs-Quante. Ihr Redefluss wird unterbrochen. Ein älterer Herr mit Down-Syndrom steht neben ihr. Er trägt einen feinen, schwarzen Wollpullover und eine schwarzer Anzughose, legt seinen Arm um Buchs-Quante und schmiegt sein Gesicht an ihres. Mit einem saftigen Schmatzer erwidert sie die spontane Umarmung. "Sowas war für mich am Anfang sehr ungewohnt ", sagt sie und lacht. Seitdem gibt es vor jeder Probe zehn Minuten sogenannte "Kuss-Zeit", in der Ulrike Buchs-Quante fast jeden der bis zu 170 Choristen herzt und begrüßt.

Dass es tatsächlich einmal so viele Sänger werden würden, damit habe sie im Leben nicht gerechnet. "Ich hatte sehr gehofft, dass es zumindest 30 werden und wir uns vielleicht ein kleines Repertoire an Gospels und Spirituals erarbeiten", erzählt sie. Inzwischen treffen sich bis zu 50 Sänger mit und 80 ohne Behinderung das dritte Jahr in Folge.

Erstmals singen auch 40 Flüchtlinge mit. "Besser kann Integration doch gar nicht laufen. Das ist deutschlandweit einmalig", sagt Buchs-Quante. Natürlich gibt es auch an anderen Orten Inklusionschöre, aber nicht in dieser Größe und nicht mit dieser Professionalität. Geprobt wird an zehn Samstagen, am Ende stehen Konzerte an. Ausnahmslos alle Teilnehmer müssen gleich gefordert werden, hatte ihr der Projektleiter Thilo Wimmer eingeschärft. An diesen Rat hält sich Buchs-Quante bis heute. "Ohne Disziplin keine Erfolge. Ohne Erfolge kein Spaß", sagt sie und ihre sonst so weiche, mütterliche Stimme bekommt für einen Moment etwas sehr Strenges und Pädagogisches.

Inzwischen wagt sich der Chor an dreistimmige Gospels. Sogar der sogenannte "A-Chor" treffe 90 Prozent der Töne. Zu Beginn habe das Buchs-Quante nicht für möglich gehalten und musste sich mit ihren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen. Dabei sei der A-Chor, kurz für "Aktions-Chor", mit seinen 30 Sängern, überwiegend mit geistiger Behinderung, der emotionale Träger von Oh Happy Day. "Sie lassen einen ganz eigenen Zauber entstehen, der mich selbst nach drei Jahren immer noch rührt", sagt Buchs-Quante.

Was sie damit meint, wird klar, wenn die 140 Sänger in der Aula ihre Stimmen erheben. Auf einem Klangteppich lassen sie den Solisten schweben. "Sometimes I feel like a motherless child / A long way from home ...", singt Robert Painter mit sonorem Bariton. Von einem schweren Fahrradunfall trug er einen Kleinhirnschaden und einen starken Tremor im rechten Arm davon. Die Notenblätter still zu halten, ist kaum möglich. Manchmal überschlägt sich seine Stimme - vielleicht vor Aufregung. Neben ihm dreht sich das Rollstuhl-Ballett in ruhigen, großen Kreisen. "Wie wunderbar es doch ist, anders zu sein", sagt Ulrike Buchs-Quante.

Der Chor "Oh Happy Day" singt am Sonntag, 20. November, von 19.30 Uhr an im Stadtsaal Fürstenfeldbruck, sowie am Sonntag, 11. Dezember, um 18.30 Uhr in der Kirche Sankt Benno in München.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: