SZ-Adventskalender:Glück in der Liebe, Pech im Leben

Lesezeit: 2 min

Trotz seiner Bandscheibenvorfälle schläft Dieter V., 75, auf einer 20 Jahre alten durchgelegenen Matratze - eine neue kann er sich nicht leisten

Von Thomas Anlauf, München

Es war Liebe auf den ersten Blick. Das spürte Dieter V., als er Gilda das erste Mal sah. Damals stand sie auf der Terrasse eines Hotels und fegte lächelnd und unermüdlich das Laub, das der Meerwind gleich wieder verwirbelte. Diese Frau musste er kennenlernen, sagte sich Dieter V. Schon am gleichen Abend durfte er sie nach Hause bis zur Haustür bringen, bald traf sich das frisch verliebte Paar wieder. Doch dann musste Dieter V. sie verlassen, der Urlaub auf Kuba ging zu Ende. Und doch gab er Gilda ein Versprechen: Im nächsten Jahr werde er sie nach München holen und sie heiraten.

Heute, fast zwei Jahrzehnte nach ihrer schicksalhaften Begegnung in Kuba, sitzen Dieter V. und seine Ehefrau Gilda auf dem einfachen Sofa in ihrer Schwabinger Wohnung. Sie hält seine Hand, streichelt seine Finger. Die Liebe ist noch immer stark zwischen den beiden. Und doch hat sich ein dunkler Schatten auf ihr Leben gelegt. Krankheit und Armut macht dem Paar zunehmend zu schaffen. In den vergangenen Monaten kommt es immer häufiger vor, dass Gilda V. stundenlang am Fenster oder in einer Ecke des kleinen Balkons sitzt und ins Leere starrt. Dann denkt sie an ihre Familie in Kuba.

"Mein älterer Bruder ist 83, er ist krank und hat es am Herzen", sagt Gilda V. Doch einen Flug in ihre alte Heimat kann sich das Ehepaar nicht mehr leisten. Gilda stammt aus einfachen Verhältnissen, aus einem kleinen Dorf im Nordwesten Kubas. Die Familie dort lebt vom Anbau des eigenen Gemüses: Mangos, Tomaten, Avocados und Guave. Die Mutter, die im Alter von 94 Jahren starb, musste zusätzlich putzen gehen, damit die Kinder genügend zu essen hatten. Eine Rente hat Gilda V. nicht. Auch das Geld ihres Mannes, der vor seiner Rente als Bauschlosser und dann 28 Jahre als Hausmeister bei der Stadt arbeitete, reichte gerade so zum Leben für beide. Bis der heute 75-Jährige 2006 erkrankte.

Gildas Ehemann Dieter V. leidet unter Diabetes. Er muss täglich 16 verschiedene Tabletten nehmen, die nicht alle die Krankenkasse zahlt. (Foto: Catherina Hess)

Er leidet unter Diabetes, Bandscheibenproblemen, einer Augenerkrankung und Lungenproblemen. Immer wieder musste er deshalb ins Krankenhaus. Die vielen Medikamente, die V. einnehmen muss, zahlt längst nicht alle die Krankenkasse. 16 verschiedene Tabletten muss er täglich einnehmen, sagt V. Es bleibt nur so viel zum Leben übrig, um die notwendigsten Ausgaben zu decken. Trotz seiner Bandscheibenvorfälle schläft V. auf einer 20 Jahre alten durchgelegenen Matratze, eine neue kann er sich nicht leisten. Die wenigen Möbel in der Wohnung sind alt und abgenutzt, ein kleiner Globus steht auf dem alten Fernseher - ein Symbol der Sehnsucht nach einer früheren Zeit, als das Paar noch reisen konnte.

Gilda V. kümmert sich um den Haushalt und um ihren Mann, der nur noch unter Schmerzen gehen kann und häufig im Bett liegt. Die Situation belastet die 68-Jährige zusehends, zumal ihr Mann ihr einziger Ansprechpartner in ihrem Leben ist. "Mir gefällt Deutschland sehr, aber ich habe keine Freundinnen - ich habe nur meinen Mann", sagt sie auf Spanisch. Deutsch spricht sie auch nach fast zwei Jahrzehnten nicht, zu sehr war sie auf das gemeinsame Leben mit Dieter V. fixiert. "Ich werde leicht etwas panisch, weil ich Angst habe, nichts zu verstehen", sagt sie. Ihr Mann spürt, dass Gilda bedrückt ist, dass sie sich immer mehr in sich zurückzieht. "Ich mache mir Sorgen", sagt er. Gerne würde er seiner Frau eine Auszeit gönnen, damit sie noch einmal ihren Bruder besucht, ihre Familie und ihr Dorf sieht. Aber es geht nicht, es ist kein Geld da. Gilda V. betrachtet ihren Mann, hört ihm still zu. In ihren Augen sind Tränen.

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: