Streetlife und Corso Leopold:Die Achse des Guten

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Warum muss man bei Slow Food nicht extra langsam essen und wann ist es ratsam, ein Loch in den Boden einer Dose zu bohren? Auf der Leopold- und Ludwigstraße gab es beim Corso Leopold und dem Streetlife-Festival Antworten.

Von Bernd Kastner

Samstagabend, Zeit für die Ziehung der Lottozahlen. Und Zeit, das Wort Gottes zu ziehen, auf der Leopoldstraße, wo der Weihrauch duftet. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Zunächst riecht es nach Schaf, ein paar Tiere stehen stoisch zwischen Menschenmassen auf dem Odeonsplatz. Gerettet wäre die Welt, wäre sie immer wie an diesem Wochenende bis hinauf zur Münchner Freiheit. Gut und gerecht, öko und schick präsentiert sie sich auf dem Streetlife-Festival und dem Corso Leopold. Da versteckt sich ein Ampelmast zwischen Palmen und Bambus - Baumkunst als "Urban Paradise". München ganz anders, alle halbe Jahre wieder.

Mancher Besucher und Aussteller wäre froh um ein Schafsfell. Der nassen Kälte wegen kommen auch nur geschätzt 170 000 Menschen. Einige lassen sich von Marlene Hinterwinkler erklären, dass man bei Slow Food nicht extra langsam kauen muss. Die Wertschätzung für Tiere und Bauern wächst, wenn man bewusster einkauft, kocht und isst. Die Rentnerin hat eine Genussgemeinschaft gegründet: Einmal im Monat fährt sie zu Bauern aufs Land und packt ein, was ihre Freunde und Nachbarn bestellt haben. So lernen die Städter, welche Mühe Kühe haben, um Milch für ein Kilo Käse zu geben. Zumindest ein paar bayerische Kleinbauern kommen dank des städtischen Trends zum Genuss selbst in den Genuss von ein paar zusätzlichen Euro.

München mal anders, etwa beim gemeinsamen Apfelstrudelbacken. (Foto: C. Hess)

"Heute schon gepflanzt?" Gleich gegenüber haben sich die Guerillagärtner von Green City niedergelassen mit ihren leeren Olivenöldosen, in denen wächst, was wachsen will. Natürlich, chaotisch, bestens geeignet für den kleinsten Balkon. "Man braucht keine teuren Töpfe", sagt Christine Leyermann, grüne Guerillera und Koordinatorin der Wabengärten am Arabellapark. Sie lässt wuchern, auf dass Kunst daraus werde. Funktioniert aber nur bei dem, der dran denkt, unten ein Loch in die Dose zu bohren. Das Regenwasser muss raus.

Weiter gen Norden, vorbei an Bambusfahrrad, Motor-Mountainbikes und der Frau mit den langen Haaren, die für dauerhafte Haarentfernung wirbt. Siegestor, Musik dröhnt, es riecht nach Flammkuchen und Bratwurst, und plötzlich nach Feiertag und Gottesdienst. "Ein Wort Gottes für Sie?" Johannes Eibenstein, Ende 20, lebt seit drei Jahren im Priesterseminar, gleich um die Ecke, hält einem ein Körbchen hin. Die Worte des Herrn kommen auf bunten Zetteln daher, man darf sie ziehen. Neue Masche gegen Austritte? Nein, nein, er wolle doch nur ins Gespräch kommen, sagt Eibenstein. Ein harter Job unter all den Flaneuren. "Viele sagen: Glauben? Da sind Sie bei mir falsch." Er gibt nicht auf, wissend, welchen Sinn der Glaube seinem Leben gibt. Und er bietet noch mehr an: Auch Kirchenkritiker dürfen ein Weihrauchkörnchen entzünden. München kann so anders sein.

© SZ vom 15.09.2014 / beka - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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