Wolfratshausen:Ein Rätsel namens Thoma

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Franz Rigo gehörte zu den Teilnehmern der Diskussion über den Schriftsteller Ludwig Thoma. (Foto: Claus Schunk)

Experten diskutieren über die Widersprüche im Werk des Autors

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen

Wie soll man damit umgehen, dass sich Ludwig Thoma, der Säulenheilige der bayerischen Heimatliteratur, der Verfasser der Heiligen Nacht und des Münchners im Himmel, der Lausbubengeschichten und der Filserbriefe, der Chefredakteur der legendären linksliberalen Satirezeitschrift Simplicissimus, am Ende seines Lebens mit seinen unseligen Kolumnen im Miesbacher Anzeiger selbst vom Sockel gestoßen hat? Wurde er erst in seiner letzten Lebensphase dieser in anonymen Pamphleten eifernde Spießer, der rechtsradikale Nationalist und scharfzüngige Antisemit, oder hat eine solche Grundströmung unterschwellig sein ganzes Werk durchzogen? Und: Kann man diesen Teil seines Lebens und Wirkens abtrennen von seinem Gesamtwerk, um ihn als geliebten, unsterblichen, wortgewaltigen und derb-humorvollen Schilderer des prallen bayerischen Lebens zu retten? Mit derlei Fragen haben sich die Teilnehmer einer Veranstaltung auseinandergesetzt, zu der die Franz-Graf-von Pocci-Gesellschaft anlässlich des 150. Geburtstags des Dichters in den Konferenzraum des Bergkramer Hofs gebeten hatte. Die Rubrik: "Hineingeboren, Hervorgetreten, Verwickelt."

Unter den Gästen fanden sich versierte Thoma-Kenner, darunter Franz Rigo, der zum runden Geburtstag Thomas am 21. Januar eine große Tagung am Tegernsee organisierte, und Martin A. Klaus aus Gräfelfing, langjähriger SZ-Redakteur und Autor einer jüngst unter dem Titel "Ein erdichtetes Leben" erschienenen kritischen Thoma-Biographie. Dass der in Oberammergau geborene Heimatdichter literarisch bedeutend war, stand bei aller Skepsis gegenüber Thoma, die sich seit Ende der Achtzigerjahre zunehmend verdichtet hat, außer Frage.

Sein "großes Problem mit Thoma" artikulierte aber schon zu Beginn der Diskussion Josef Hingerl, der Hausherr des Bergkramer Hofs. "Da ist der eine, der bis zum Schluss Kunstwerke verfasst hat, da ist der eine, zu dem ich stehe, und da ist dann noch der andere, den ich total ablehne". Das seien die Schriften, die selbst durch die schwere Krankheit, die unerfüllte Liebe zu Maidi von Liebermann und die Depressionen vor dem frühen Tod im Jahr 1921 nicht zu rechtfertigen seien. "Hier ist ein innerer Widerspruch, bitte helfen Sie mir", appellierte Hingerl an die Versammelten. Einer der Diskussionsteilnehmer konnte ihm eine Erklärung liefern: Er zog eine Parallele zur aktuellen Flüchtlingsproblematik und verknüpfte damit die Frage, "ob wir denn wissen können, wie andere Generationen später über uns denken". Man dürfe nicht "als Richter über eine historische Zeit auftreten, in der wir nicht selber leben".

Uneinig waren sich die Teilnehmer in der Bewertung der Frage, wer in dem sich anbahnenden Nationalsozialismus bei wem rhetorische Anleihen genommen habe: Thoma bei Hitler oder sogar umgekehrt? Thoma habe bewusst anonym geschrieben - "er wollte sein Werk nicht mit dem infizieren, was im Miesbacher Anzeiger stand", und habe deshalb immer dementiert, dass er der Verfasser der Pamphlete war, argumentierte Rigo. Dabei beschränke sich die fatale Tendenz des Schriftstellers nicht auf die Artikel im Miesbacher Anzeiger allein, "der Antisemitismus zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben".

Auch der Schauspieler und Kabarettist Michael Lerchenberg befasst sich mit Thoma: Seine Lesung am Freitag, 17. Februar, im Gemeindesaal der Evangelischen Kirche Starnberg beginnt um 19.30 Uhr. Karten gibt es in der Bücherjolle Starnberg und im Pfarrbüro (08151/12319).

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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