Wildvögel:Der Futter-Streit

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Die Regale in Lebensmittel- und Verbrauchermärkten sind voll mit Vogelfutter. (Foto: Thiel)

Sonnenschein und 20 Grad: Dennoch türmt sich schon Vogelnahrung in den Regalen der Handelsketten. Doch soll man Wildvögel jetzt ganzjährig füttern, oder ist das eine schlechte Idee? Experten sind da geteilter Ansicht

Von Amelie Plitt, Starnberg

Wildvogelmix, Erdnüsse, Misch-, Fett-, Aufbau- oder Waldvogelfutter. In den Baumärkten, Tierfachhandlungen und Supermärkten stapeln sich schon jetzt in den Regalen verschiedene Sorten an Vogelfutter. Im Sortiment gibt es längst nicht mehr nur den schnöden Meisenknödel, der heimische Vögel im Winter nähren soll. Und noch eins fällt sofort ins Auge: An vielen Verpackungen ist die Bezeichnung "Ganzjahresfutter" vermerkt. Soll man Vögeln nun etwa saisonübergreifend Körner geben? Lautete die gängige Meinung doch jahrzehntelang, dass man sie nur bei extremen Wetterlagen füttern solle, also bei Eis und Schnee, in nahrungsarmen Zeiten. Mittlerweile sind sich selbst Experten nicht mehr einig.

Gegen die Winterführung bei kalten Außentemperaturen und Schnee habe der Kreisgruppenvorsitzende des Landesbund für Vogelschutz (LBV), Horst Guckelsberger, keine Bedenken. Die Sommerfütterung hält er hingegen nur im maßvollen Umfang für sinnvoll, um die Abhängigkeit der Tiere vom Menschen zu vermeiden. Eine Futtermenge, von denen die Vögel nicht satt werden, sei in Ordnung: "A bissl was, eine Handvoll am Tag", meint Guckelsberger.

Paul Wiecha, Leiter des Arbeitskreises Schwalben und Mauersegler beim LBV hat eine klare Meinung: Er ist für die ganzjährige Fütterung der Vögel. Nicht selten findet Wiecha Nester, in denen eine tote Vogelbrut liegt. Ursache dafür sei, dass die Vogeleltern zu lange auf der Suche nach Futter seien, in der Zeit würden die Küken verenden. Immer wieder passiert es laut Wiecha auch, dass die hungrige Brut sich dann alleine auf die Suche nach Futter begibt, aus dem Nest fällt, sich schwer verletzt und hochgepäppelt werden muss oder einer Katze zum Opfer fällt.

Ein zentrales Problem für die Vögel ist, dass sie nicht mehr ausreichend Futter finden, um sich autark zu ernähren: "Immer mehr Grünflächen und Äcker werden bebaut, außerdem wachsen Monokulturen in der Landwirtschaft, und die Felder werden oft mit umweltschädlichen Pestiziden gespritzt, wodurch Insekten verenden", erklärt Wiecha. Den Vögeln würde zunehmend wichtige Nahrungsräume genommen, zum anderen gebe es durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kaum noch Insekten oder Wildkräuter, von denen sich die Vögel einst ernähren konnten, meint Wiecha. Werden die Tiere durch die Fütterung nicht abhängig vom Menschen? Nein, glaubt der Kenner: "Wir haben sie abhängig gemacht, weil wir ihnen ihre natürliche Futterquelle genommen haben, wir befinden uns in einem Teufelskreis."

Auf keinen Fall solle man den Tieren Essensreste geben, lautet die Devise Wiechas. Der hohe Salzgehalt und die Gewürze bekomme den Vögel nicht. Wenn man sie ganzjährig füttere, müsse man auch darauf achten, dass das Vogelhäuschen hygienisch sei: "Ich empfehle ein Silo-Vogelhaus, da ist das Futter immer frisch und rutscht nach, regelmäßig sollte man es trotzdem ausspritzen und Kot auskratzen, um Bakterienbildung zu unterbinden." Um Keime zu vermeiden, rät Guckelsberger Futtersäulen oder Häuschen, wo die Tiere nicht in die Nahrung hinein hüpfen können. Außerdem solle die Futterstelle regengeschützt sein, um Schimmelbildung im Kern-Mix zu vermeiden. "Außerdem muss das Futterhäuschen möglichst hoch aufgebaut oder aufgehängt werden, damit Katzen oder Mader keine Möglichkeiten haben, die Vögel zu schnappen" so Wiecha. Auch Max Kohl, Filialleiter der Fachhandelskette für Tiernahrung und -zubehör, Fressnapf in Starnberg, empfiehlt seinen Kunden eine saisonübergreifende Fütterung der heimischen Vögel. Er legt seiner Kundschaft im Winter ans Herz, auf Fettfutter umzusteigen, da bei kalten Temperaturen der Energiebedarf der Tiere höher sei. Gut sei neben dem klassischen Fettfutter zum Beispiel auch Hanfsaat oder Erdnussfutter, da diese Produkte viel Fett enthielten und für die Vögel nahrhaft seien. Leichtere Futtersorten wie ein Sonnenblumenkern-Mix würden sich im Sommer anbieten. Wenn man die Vögel das ganze Jahr füttert, rät Kohl, auf schalenlose Futtersorten zurückzugreifen, da diese keine Reste hinterließen und Arbeit ersparen würden. Wie Kohl bemerkt auch Christian Heiß, Filialleiter von Kaisers Tengelmann in Starnberg, dass das Vier-Jahreszeiten-Futter das ganze Jahr über gut verkauft werde. "Wenn die erste Schneedecke da ist, kaufen aber nach wie vor die meisten Leute Vogelfutter ein", so Heiß.

Klar gegen eine Ganzjahresfütterung der Vögel ist Hans-Günther Bauer, Wissenschaftler für Naturschutz und Populationsentwicklung am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Von einer Fütterung im Sommer hält er nichts. Er findet die Fütterungspraxis aber auch nicht im Winter zwangsläufig notwendig. Nur in Notzeiten, wenn den Vögeln die Nahrung fehle beziehungsweise knapp werde, sei menschliche Hilfe sinnvoll. Wären die Vogelhäuschen das ganze Jahr über gefüllt, würden die Vögel sich irgendwann so an die Futterstellen der Menschen gewöhnen, dass sie bald nicht mehr in der Lage seien, sich selbst zu ernähren. Die Menschen, die Vögel füttern, tragen eine erhöhte Verantwortung und schaffen eine Abhängigkeit, zu bedenken seien daher auch immer Zeiten, in denen man nicht füttern könne, wie ein längerer Urlaub, spätestens dann, sollte mit der Vogelfütterung erst gar nicht begonnen werden.

Für Bauer gibt es nur eine Lösung: "Die Lebensräume der Vögel müssen wiederhergestellt werden, dafür muss man die extreme Insektenarmut im Süddeutschen Raum bekämpfen, die Landschaft renaturieren, weniger Gift spritzen und Überdüngen vermeiden". Wenn Vogelfreunde den Tieren wirklich helfen wollten, sollten sie, "hier und da auch mal was auf ihren Wiesen wachsen lassen, einen Weiß- oder Schwarzdorn, Efeu oder Wildkräuter und nicht nur einen langweiligen Englischen Garten vor der Haustür haben". Nur dann könnten sich Insekten ansiedeln und sich Vögel ernähren, meint der Ornithologe. Einen naturnahen Garten als Nahrungsquelle für Vögel, empfiehlt auch Guckelsberger: "Gerade jetzt im Herbst ist es wichtig, den Garten nicht klinisch rein zu machen, da sich unter Laub beispielsweise für die Vögel nahrhafte Insektenlarven finden."

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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