Prozesse wegen Asylbewerbern:Richterliches Neuland

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Die steigende Zahl der Flüchtlinge stellt auch die Gerichte vor neue Aufgaben. Verfahren, teilweise wegen geringfügiger Streitigkeiten, ziehen sich enorm in die Länge. Übersetzer sind bei jeder Vernehmung von Nöten

Von Michael Berzl, Starnberg

Eine Staatsanwältin und eine Rechtsanwältin sind da, ein Dolmetscher muss die Aussagen von Angeklagten und Zeugen aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzen, ein weiterer Übersetzer vermittelt einem Paar aus Nigeria, um was es in dieser Verhandlung vor dem Amtsgericht in Starnberg geht. Sichtlich angestrengt versucht Richterin Christine Conrad, etwas Struktur in die widersprüchlichen Schilderungen einer handfesten Streiterei vor fast einem Jahr in einer Asylbewerberunterkunft in Starnberg zu bringen. Mehr als drei Stunden dauert es, bis sie ein Urteil verkünden kann. Fünf Monate auf Bewährung für eine 31-jährige Frau; das Verfahren gegen zwei Mitangeklagte wird eingestellt. Die Verhandlung hat sich schon allein wegen der Verständigungsschwierigkeiten viel länger hingezogen als geplant. "Nächstes Mal setze ich für so etwas einen ganzen Verhandlungstag an", sagt Amtsrichterin Conrad, als ihr klar wird, dass ihr Terminplan für diesen Mittwoch durcheinander gerät.

Es ist eines dieser Verfahren, mit denen sich auch die Justiz in Starnberg noch häufiger beschäftigen wird. Die Zuwanderung von Flüchtlingen beschert dem Landratsamt immensen zusätzlichen personellen Aufwand und hohe Kosten, unzähligen ehrenamtlichen Helfern viel Arbeit, der Polizei immer mehr Einsätze und den Gerichten zeitaufwendige Verfahren. "So etwas kommt jetzt immer öfter vor", bestätigt Amtsgerichtsdirektorin Sibylle Fey. Im vergangenen Herbst habe sie deshalb schon einen Mehraufwand angemeldet, eine Richterin habe ihr Stundenkontingent aufgestockt, um die Arbeit bewältigen zu können. Bayerns Justizminister Winfried Bausback setzt sich für schnellere Verfahren ein und fordert: "Wir wollen in den Bereichen, wo es sich rechtsstaatlich gut vertreten lässt, die Justiz weiter entlasten." So sollen die Gerichte künftig bei allen Fällen mit einer Maximalstrafe von zwei Jahren auf Bewährung anstelle eines Prozesses auch einen Strafbefehl verhängen können. Bisher ist das nur bei Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr möglich.

Ein Strafbefehl erschiene auch Richterin Conrad sinnvoll in dem Fall vom Mittwoch. Es war ein Paradebeispiel für Konflikte, wie sie nun oft vorkommen in den Unterkünften, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft auf engem Raum miteinander wohnen müssen und sich wegen ihrer verschiedenen Sprachen kaum miteinander verständigen können. Allein wegen der Bedingungen kommt es dort zu Spannungen. Fast jeden zweiten Tag müsse die Polizei im Zusammenhang mit der Asylproblematik ausrücken, berichtet der Starnberger Inspektionsleiter Bernd Matuschek. Nicht immer wegen Straftaten. Mal geht es um Lappalien wie einen Streit um ein Ladekabel fürs Handy, mal um Waschmaschinen, die nicht richtig bedient werden, mal ums Rauchen auf dem Flur.

Und manchmal geht es um die Sauberkeit in der Gemeinschaftsküche wie im vergangenen März in einem Einfamilienhaus in Starnberg, in dem unter anderem ein Paar aus Nigeria mit einem kleinen Baby und eine fünfköpfige Palästinenserfamilie miteinander auskommen mussten. Da kam es auch zu Reibereien, die an einem Montagnachmittag in einer tätlichen Auseinandersetzung gipfelten. Wie die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sagte, ist dabei eine Frau "einfach ausgeflippt". Sie habe zwei Männern die T-Shirts zerrissen, einen 19-Jährigen ins Bein gebissen, schmerzhaft zugepackt. "Brutal" nannte Amtsrichterin Conrad diese Attacken und folgte mit ihrem vergleichsweise strengen Urteil exakt dem Antrag der Staatsanwältin. Die Angeklagte hat die wesentlichen Vorwürfe bestritten.

Auch in diesem Verfahren offenbarten sich einige Besonderheiten. So wertete die Richterin zu Gunsten der Angeklagte, dass sie noch keine Einträge im Bundeszentralregister hat, sich in Deutschland also noch nichts zu Schulden kommen lassen hat. Im Fall der verurteilen Nigerianerin sagt das aber nicht viel über ihr Vorleben. Auch die Klärung der familiären Verhältnissen ist nicht immer einfach. Auf die Frage, ob sie verheiratet seien, erklärte der Lebensgefährte der Frau: "In Afrika machen wir das einfach so: Wenn wir gemeinsam ein Kind haben, ist es meine Frau." Wie soll ein deutsches Gericht das werten?

Zu den Bewährungsauflagen gehört, dass die 31-Jährige in Raten 500 Euro an die Umweltorganisation WWF bezahlen soll. Die monatlichen Zahlungen von 30 Euro werden dann wohl abgezogen von dem Unterhalt, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Frau, ihren Mann und das gemeinsame Baby bezahlt. Aber noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Als der Nigerianerin zum Ende der Verhandlung hin das Recht auf das letzte Wort eingeräumt wurde, sagte sie noch, sie verstehe nicht, wie das alles hier abläuft. Sie lernte schnell. Nachdem der Dolmetscher das Urteil, seine Folgen und die Möglichkeiten, die das deutsche Strafrecht so bietet, erläutert hatte, erklärte die 31-Jährige, sie würde gerne in Berufung gehen.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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