Starnberg:Protest vor dem Jobcenter

Lesezeit: 2 min

Arbeitslose beklagen sich über zu lange Bearbeitungszeiten und schlechte Behandlung. Behördenchef Gerhart Schindler führt die viel zu hohe Arbeitsbelastung seiner Mitarbeiter ins Feld

Von Christian Deussing, Starnberg

Die Geduld von offenbar vielen Arbeitslosen ist am Ende, wenn sie an das Jobcenter in Starnberg denken. Dort sollen besonders in den vergangenen Wochen Bewilligungsanträge verschleppt, nicht bearbeitet oder Dokumente unnötig mehrfach eingefordert worden sein. Das empfindet Andreas Theile als Arbeitsloser nicht nur schikanös, sondern auch "existenzbedrohend", weil das Geld nicht rechtzeitig überwiesen werde oder "niemand am Telefon erreichbar" sei. Es gebe daher Hartz-IV-Empfänger, die ihre Miete nicht mehr zahlen könnten, Abmahnungen und Kündigungen von Vermietern erhielten oder befürchteten, obdachlos zu werden. Am Montag suchte Theile mit vier weiteren Betroffenen das Jobcenter in der Moosstraße auf, um mit einer Protestaktion auf die "Missstände" aufmerksam zu machen, die er vor allem einer bestimmten Beamtin anlastet.

Gerhart Schindler, Geschäftsführer des Jobcenters, lud zu einem klärenden Gespräch ein. Theile durfte dabei seinen "bayerischen Beamtenlöwen" mit Hängematte um den Hals auf einem Tisch ablegen. Schindler hörte sich die Vorwürfe an und versprach den aufgebrachten Besuchern, ihre Fälle "individuell zu prüfen" und den Sachen nachzugehen. Er verwies aber auch auf die Personalnot in der Behörde, in der seine Sachbearbeiter 150 Fälle zu bewältigen hätten - und dabei "Nerven wie Drahtseile" haben müssten. Der Jobcenter-Chef klagte darüber, dass er im vorigen Jahr sechs Monate lang auf 40 Prozent seines Personals habe verzichten müsse. Die Gründe seien unter anderem Fluktuation und Krankheitsfälle gewesen. Vor der personellen Krise seien innerhalb von nur sieben Werktagen die Anträge für Leistungen bearbeitet worden - was ein "hervorragender Wert " gewesen sei, denn vorgegeben seien 15 Werktage als Qualitätsstandard bei Arbeitsagenturen. Schindler räumte nun jedoch ein, dass diese Frist leider nicht immer eingehalten werden könne. Er bemühe sich aber um weitere Stellen, weil in diesem Jahr wohl noch bis zu 300 Asylbewerber, die anerkannt werden oder Bleiberecht erhalten, als Klientel dazukommen. Schindler betonte in der Runde, die personellen Probleme "nicht zu leugnen". Er sprach davon, dass die "Belastungsgrenze" im Jobcenter oft weit überschritten und vor einigen Monate die Telefonvermittlung monatelang "unterbesetzt" gewesen sei. Jetzt habe sich die Lage aber verbessert, so Schindler.

Am Tisch saß auch eine 50-jährige Raumausstatterin, die nach eigenem Bekunden schon seit dem 4. Dezember auf ihr Geld vom Jobcenter vergebens wartet - trotz vollständiger Unterlagen. "Ich verstehe das nicht oder ist die Bearbeiterin überfordert", beschwerte sich die Herrschingerin, die mit den Nerven am Ende ist. Gegenüber von Schindler berichtete ein früherer Bauarbeiter davon, dass er längere Zeit kaum überleben konnte und ihm erst vor kurzem "rückwirkend" endlich die Leistungen bewilligt worden seien. Auch diesen Vorgang erklärte Schindler zur Chefsache und kündigte an, "interne Gespräche" über die Abläufe zu führen, damit sich die Bearbeitungszeiten wieder verkürzen.

Das will Rechtsanwalt Wolfgang Diller genau verfolgen, der dem Protest-Initiator Theile und weiteren Hartz-IV-Empfängern hilft. Er geht davon aus, dass sich seiner Ansicht nach die ohnehin mangelhafte personelle Situation im Starnberger Jobcenter noch erheblich verschärft - wenn nämlich auch viele Asylbewerber zu betreuen sind. Der Anwalt meint, die Ausstattung des Jobcenters sei "nicht ausreichend funktionstüchtig". Es mache die Sache auch nicht leichter, dass sich die Aufsicht der Agentur weit entfernt beim Arbeitsministerium in Berlin befinde, bedauert Diller.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: