Starnberg:Polit-Tiger im bunten Hemd

Lesezeit: 2 min

Urban Priol. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Urban Priol arbeitet sich am globalen politischen Elend ab

Von Gerhard Summer, Starnberg

Urban Priol hat so etwas wie ein anti-aerodynamisches Optimum aus seiner Frisur herausgeholt. Die seitlichen Haare stehen ihm weit vom Kopf ab, sie sehen fast aus wie kleine Flügel, und wenn der Mann damit flattern und abheben könnte, wäre er längst unter der Decke der vollbesetzten Schlossberghalle gelandet, so viel Gram und Energie stecken in ihm.

Zweieinhalb Stunden lang tigert der Aschaffenburger im bunten Hemd über die Bühne, arbeitet sich am globalen politischen Elend ab und teilt aus, dass es rauscht. Atemlos, hektisch, in halbfertigen Sätzen und teilweise ungeheuer lustig geht das dahin, dieses Wirbelwind-Programm ist allein schon eine enorme Gedächtnisleistung. Denn Priol hat auf den zwei Tischen zwar ein iPad und ein Manuskript liegen, schaut aber so gut wie nie in den Text. Und was seine Themen betrifft, lässt er rein nichts aus, um zu belegen, dass diese Welt ein Kasperltheater und Tollhaus ist.

In diesem gewaltigen Sammelsurium, das sich "Jetzt" nennt, kommt der Rechtsruck in Europa genauso vor wie der Abgasskandal, die Pegida ("wenn sich innere Hässlichkeit mit der äußeren vermählt") und die "AfD-Büchsen" Petry und Storch. Priol plaudert sich vom amerikanischen Wahlkampf (Bernie Sanders kämpfe nicht gegen die von der Wallstreet bezahlte Hillary Clinton, sondern gegen ihre Eigentümer) bis zu TTIP und dem Schrotthaufen Bundeswehr. Die Politiker, die Marinehubschrauber anschaffen, die nicht übers Meer fliegen dürfen, oder Hilfspakete für Griechenland bewilligen, die zu 95 Prozent den europäischen Versicherungen und Banken zugute kommen, sind bei ihm Nieten, Nullen und Nulpen. Julia Klöckner, die CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz, die ein Burka-Verbot vorgeschlagen hatte, nennt er "Klöcknerin von Notre Dame". Recep Tayyip Erdoğan - ein Döner-Putin und halbfaschistoider Präsident, mit dem Angela Merkel einen faustischen Pakt geschlossen habe. Überhaupt Merkel: "ein Rückgrat wie Marshmallows", eine Frau ohne Plan. Und de Maizière? Ach ja, "Drohnen-Tommy", ein Minister, der "zu allem fähig und zu nichts zu gebrauchen ist".

Das klingt jetzt vielleicht wie Tagesthemen mit Dauer-Kommentar. Tatsächlich entwickelt Priol aus dieser kruden Stoffsammlung beißendes politisches Kabarett, das zur Pflichtvorlesung für Politik-Studenten werden sollte, weil er detailversessen begründet, analysiert und alles mit Wortwitz und feinen Parodien überzieht. Der 55-Jährige arbeitet mit Florett und Presslufthammer, er ist Gewissen der Nation, Nachrichten-Junkie, Durchblicker und Parade-Linker in einer Person. Daneben imitiert er Stimmen und Dialekte aufs Schönste, ob Bayerisch, Sächsisch oder Mannheimerisch. Er gibt Gerhard Schröder das fieseste Lachen seit Erfindung des Lachsacks, bekommt Merkels Singsang hin und muss nur mit gespreizten Händen dahinwatscheln, um klar zu machen, dass er über die Kanzlerin redet. Und manchmal gelingen ihm grandiose Pointen. Zu Merkel und Erdoğan fällt ihm ein: "Sie hat ihm die Brust auf die Pistole gesetzt." Die Parallele zwischen Gravitationswellen und einer Fraktionssitzung von CSU und CDU: zwei schwarze Löcher, die ins Leere fallen. Und der Umstand, dass Benedikt immer noch wie der Klartext-Franziskus Papst ist: "Vier Fäuste für ein Halleluja."

Was bleibt, wenn alles drüber und drunter geht? Urban Priol versagt die Stimme, er lallt dann nur noch vor sich hin oder macht eine Yoga-Übung wie den herabschauenden Kuhblick vom hölzernen Tisch. Gut, es gibt Hoffnung, zum Beispiel in Gestalt des kanadischen Premierministers Justin Trudeau, sagt er. Aber ansonsten gilt Shakespeare: "Das ist die Seuche dieser Zeit - Verrückte führen Blinde." Donnernder Applaus.

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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