Starnberg:Paare und Politik

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Goran Paskaljevićs großer Balkanfilm "Honeymoons"

Es gibt wenige poetische Momente in dieser anrührenden, rauen, gelegentlich auch witzigen serbisch-albanischen Koproduktion. Aber einmal ist es so weit: Jugendliche schlagen Marko zusammen, weil er ihnen nicht nationalistisch genug ist, er wehrt sich nicht und verbirgt die Hände in die Taschen. Und als er sie schließlich wieder vorsichtig herausnimmt und begutachtet, erklingt dunkel flutende Cellomusik, als wäre ein Märchen im Gange. Marko ist Cellist, er kann es nicht riskieren, sich auch nur einen Finger zu brechen.

"Honeymoons" heißt der 2009 entstandene Balkanfilm des Festival-Ehrengastes Goran Paskaljević. Das klingt netter, als diese "Flitterwochen" tatsächlich sind. Doch verglichen mit Paskaljevićs brutalem "Cabaret Balkan - Das Pulverfass" fällt die Geschichte heller und freundlicher aus. Was nicht heißt, dass dieses Lehrstück eine Romanze ist: Der Regisseur zeigt die Risse, die durch die serbische und albanische Nachkriegsgesellschaft gehen. Menschen, die in der Tradition wie in einer Zelle gefangen sind, eine Mutter, die nicht über den Verlust ihres Sohnes hinwegkommt, Brüder, die wegen der Politik zu Todfeinden wurden, Landsleute, die Landsleute ausrauben, die aufgeblasenen Neureichen und ihre arme bucklige Verwandtschaft. Paskaljevićs Parallelgeschichten spielen an einem Tag in Tirana und in Belgrad, zwei Paare besuchen zwei dekadente Hochzeitsfeste, bei denen Schampus und Raki in Strömen fließen. Vera und Marko haben heimlich geheiratet. Maylinda und Nik sind noch gar kein Liebespaar, denn Maylinda ist die Frau, die Niks vermisster Bruder heiraten sollte. Die Vier sind auf dem Weg nach Europa, Mirko ist zu einem Vorspiel bei den Wiener Philharmonikern eingeladen. Doch sie laufen in Italien und Ungarn nicht Gutmenschen in die Armen, sondern fiesen Bürokraten.

Das Faszinierende an "Honeymoons" ist, wie Paskaljević mit der Kamera seziert. Er geht oft ganz nah heran an die Gesichter, er ist nie auf die distanzierte Betrachtung, pittoreske Bilder oder den kunstvollen schnellen Schnitt aus, er zeigt die Dinge, wie sie sind, er bewegt sich mitten im Geschehen. Was zu einer oft schmerzhaften, unmittelbaren Nähe führt. Seine Schauspieler sind ohnehin eine Entdeckung: Lazar Ristovski etwa gibt einen herrlich gönnerhaften Onkel, Petar Božović seinen depressiven Bruder mit Falstaff-Figur, der die eigene Tochter verstößt, obwohl es ihn dabei zerreißt. "Honeymoons" ist das, was deutschen Filmemacher so selten gelingt: großes schmerzhaftes Kino.

© SZ vom 06.08.2016 / sum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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