Starnberg:Lyrisches Leiden

Lesezeit: 2 min

Ulli Schäfer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Musica Sacra unter Leitung von Ulli Schäfer überzeugt mit Bachs Johannes-Passion in St. Maria

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Nach wie vor: Bachs Johannes-Passion füllt auch Starnbergs Stadtpfarrkirche St. Maria bis auf den letzten Platz. Und das liegt sicher nicht nur an der wunderbaren Musik, die geradezu einer Perlenkette gleicht, an der ein Prachtstück dem anderen folgt. Es ist wohl vor allem ihr emotionaler Gehalt, den Bach in diesem Werk feinsinnig changieren, aber auch mutig bis hin zu lang ausgehaltenen Dissonanzen unvermittelt ausbrechen ließ. Gerade diese Komponente dürfte denn auch dafür verantwortlich sein, dass Bach bis an sein Lebensende an der Passion feilte, auf der Suche nach dem treffenden Ausdruck und der tiefsinnigen religiösen Aussage, die übers rein Formelhafte und Gestische weit hinausgehen. Und es sind nicht nur die Solisten, die dabei die Gefühlswelt und dementsprechend auch die Atmosphäre der Musik offenbaren.

Für die Musica Starnberg ein wichtiger Aspekt, um Chor, Kinderchor, Orchester und Jugendchor Pöcking vor allem aus eigenen Reihen in Szene zu setzen. Es standen große Klangkörper auf der Bühne, vor allem ein mächtiger Chor von etwa 80 erwachsenen Sängern sowie um die 20 Kinder und Jugendliche. Viel Material für Ulli Schäfer am Pult, daraus ein plastisches Gebilde zu formen und für die textlichen Aussagen die richtigen Färbungen zu finden.

Es sind vor allem die Chöre und Choräle die den Rahmen der Passion abstecken, allen voran der dramatische Eingangschor, der in diesem Fall sogleich ins Geschehen hineinzog. Besonders ansprechend und in breiter Feierlichkeit erklangen die Choräle, so schon "Petrus, der nicht denkt zurück, seinen Gott verneinet" oder später so berührend "In meines Herzens Grunde" in Christi Todesstunde. Noch sanfter, ja geradezu zärtlich "Er nahm alles wohl in acht in der letzten Stunde", nachdem Christus seinen Jünger zu Marias Sohn erklärte. Die Zurücknahme und Klangwärme machte es dem großen Chor allerdings schwerer, den Text noch sauber zu artikulieren.

Deutlich leichter fiel es den Choristen in den großen hymnischen Chorälen, textklar-homogen zu bleiben. Etwa gleich zu Beginn des zweiten Teils mit "Christus, der uns selig macht", bevor Jesus vor Pilatus tritt. Eine leichtere, lyrisch wogende Interpretationsweise erhielt etwa "Mein teurer Heiland, lass dich fragen", das so viele Emotionen von Resignation und Kraftlosigkeit über Trauer bis hin zu Hoffnung in sich vereinte, nachdem Christus verschieden war. Insgesamt ging Ulli Schäfer in der Auslegung des Werkes ausgesprochen lyrische vor, sichtbar auch im geschmeidig formenden Dirigat. Mit dem Südkoreaner Namwon Huh bedachte er die Evangelistenrolle (auch Arien) mit einem sehr lyrischen, warmtemperierten Tenor, dem allerdings wohl eine leichte Heiserkeit zusetzte. Dazu gezwungen, seine Stimme zurückzunehmen, kam zur lyrischen Grundstimmung Verhaltenheit hinzu. Was selbst straffen Rezitativen noch etwas Melodiöses verlieh.

Aber auch die weiteren Solisten sorgten für Homogenität in der lyrischen Ausprägung, allen voran der Bariton Jens Hamann, der einen gütigen, vergebenden Jesus gab. Thomas Hambergers führte mit wunderbar sonorem Bassbariton schon alleine vom Klang her vor, wie Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht. Ein großer Zauber der Johannes-Passion liegt zweifelsohne in den Arien der Frauenstimmen, die hier auch betörend schön von Judith Spiesser (Sopran) und Regine Jurda (Alt) in atmosphärischen Höhen schwebten. Schon in der Sopranarie "Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten" kam eine erfrischende Farbigkeit ins Spiel, um später aus seelentief trauriger Lyrik der Alt-Arie "Es ist vollbracht, o Trost vor die gekränkten Seelen" alsbald einen ebenso strahlenden Helden aus Juda siegen zu lassen. Überaus wirkungsvoll, wie auch die für die Dramatik entscheidenden Momente immer wieder an nötiger Schärfe zulegten, wie etwa in der Zuspitzung des Todesurteils "Nicht diesen, sondern Barrabam!" Eine überzeugende Interpretation, deren Hang zur Romantik das Publikum hörbar überzeugte.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: