Starnberg:Jenseits der Provinz

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Ehrengast des 9. und bislang größten Fünfseen-Filmfestivals: Regisseur Michael Verhoeven. (Foto: dpa)

Das Fünfseen-Filmfestival ist größer denn je und zeigt 160 Filme. Ehrengast ist heuer Michael Verhoeven

Von Gerhard Summer, Starnberg

Wenn Bild und Ton satt machen würden, könnte Starnberg zwölf Tage lang nur von Wasser leben und ein paar Tüten Popcorn. Das Programm des 9. Fünfseen-Filmfestivals ist nämlich üppiger denn je: 160 Filme in 320 Vorstellungen, darunter zwei Uraufführungen, 18 deutsche und 23 bayerische Premieren. Dazu kommen acht Wettbewerbe mit Preisverleihungen, die traditionelle Dampferfahrt, Werkstattgespräche und Mixturen aus Lyrik, Musik und Lichtspielkunst, unter anderem im Hochstadter Biergarten, dem kleinsten Spielort des Spektakels von 29. Juli bis 9. August.

Damit bewegt sich das cineastische Großereignis, das Kinochef Matthias Helwig erfunden hat, fast auf dem Level des inzwischen drastisch reduzierten Münchner Filmfests, allerdings bei einem Zwanzigstel oder Dreißigstel des Etats. Helwig sagte auf einer Pressekonferenz am Freitag in Starnberg denn auch selbstbewusst: "Das Programm kann sich überall sehen lassen, das ist hier keine Provinz."

Tatsächlich öffnet das Festival mit internationalen Produktionen und Gastbeiträgen aus Québec und Taipeh, dem Starnberger Partnerlandkreis, das Fenster zur Welt. Einer der Schwerpunkte liegt auf osteuropäischen Filmen und auf Regisseuren, die noch auf lange Einstellungen vertrauen. Viele Filme drehen sich um Kinder, um Heranwachsende, die rebellieren. Um Paare, die sich entfremden, den alltäglichen Irrwitz, der in Ländern wie im Irak herrscht. Um das Leben in Indien oder Kuba. Genauso holt Helwig wieder die regionalen Regisseure ins Scheinwerferlicht, ob Mickel Rentsch aus Inning, Manuela Bastian aus Schondorf oder Walter Steffen aus Seeshaupt. Und in der Reihe "In Memoriam" gibt es Begegnungen mit den Klassikern "Die Reifeprüfung", "Die Schlangengrube und das Pendel", "Die Vögel", "La dolce vita" und "Monaco Franze".

Zu den Gästen, die in Starnberg, Herrsching und Seefeld erwartet werden, gehören Schauspieler, Filmemacher und Drehbuchautoren wie Edgar Selge und Marianne Sägebrecht, Edgar Reitz, Karl Markovics, Hanns Christian Müller, Fredi Murer und die Produzentin Lena Schömann. Ehrengast ist diesmal Michael Verhoeven, der sich wie kein anderer politisch denkender Regisseur der deutschen Vergangenheitsbewältigung angenommen hat und mit "o.k." 1970 auf der Berlinale noch einen handfesten Skandal auslöste. Von ihm laufen "Das schreckliche Mädchen", "Die weiße Rose" und "Let's go", der "erste Film, der zeigt, dass die Opfer der Konzentrationslager nach dem Krieg ihre Leiden, ohne es zu wollen, an ihre Kinder weitergereicht haben", so Verhoeven. Auf der Pressekonferenz war ein Ausschnitt daraus zu sehen: Ein Deutscher rettet 1958 ein jüdisches Kind, das fast ertrinkt, der Vater ist außer sich und schlägt das Mädchen mit dem Teppichklopfer.

Verhoeven sprach in Starnberg auch darüber, dass in den Achtzigerjahren fünfmal eine Filmförderung für "Die weiße Rose" abgelehnt worden war, und erwähnte, dass sich der Bundesgerichtshof damals von "Altlasten" befreien musste - ehemaligen Nazi-Richtern. Dass er sich mit dem Thema immer wieder auseinander setzt, führt Verhoeven auch auf seine Kindheit zurück. Sein Vater sei von den Amerikanern als der erste Intendant des Staatstheaters München eingesetzt worden, er gebot über ein Provisorium ohne Dach. "Aber wir hatten keine Wohnung." Die Verhoevens lebten deshalb in einem Lager für Displaced Persons, und der siebenjährige Michael lernte jüdischen Kinder kennen.

Wie es Helwig gelingt, so prominente Gäste nach Starnberg zu holen? Er erklärte es so: In Berlin sei er mit Markovics vor der Garderobe gestanden, habe kurz mit ihm über dessen Film "Atmen" geredet, der in Deutschland unterging, und ihn gefragt, ob er nicht an den Starnberger See kommen wolle. "Er hat sofort zugesagt."

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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