Starnberg:Grandiose Negativwerbung

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"Jeder Versuch, eine Topgeige zu bauen, scheitert heute": Igor Moroder bei seinem Vortrag zu den Musiktagen. (Foto: Georgine Treybal)

Geigenbauer Igor Moroder geht bei einem Vortrag zu den Musiktagen auf das Dilemma seiner Zunft ein

Von Gerhard Summer, Starnberg

Napoleon und seine Reformen sind mit schuld an der ganzen Malaise, womöglich jedenfalls. 1796 marschieren seine französische Truppen in Sardinien-Piemont ein und erobern die Lombardei, 1797 besetzen sie Venedig. Die Folge: "Von 1799 etwa geht es mit dem Geigenbau ganz schnell bergab", wie Igor Moroder bei seinem Vortrag zu den Starnberger Musiktagen sagt, erst in Norditalien, 60 Jahre später in Neapel. Denn mit Napoleon kommt das metrische System, das die alten Maßeinheiten ersetzt, bald sind auch die Handwerksgilden aufgelöst. Einzig die Gondelbauer in Venedig widersetzen sich nach wie vor dem Dezimalsystem, erklärt der aus Südtirol stammende und in Mailand arbeitende Geigenbauer.

Was letztlich den Niedergang des Streichinstrumentenbaus eingeläutet haben könnte. Jedenfalls gebe es heutzutage zwar etwa 10 000 Geigenbauer weltweit, moderne Technik und neueste Analysemethoden, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei ohnehin viel experimentiert, geforscht und kopiert worden. Aber trotzdem "ist niemand in der Lage, ein Topinstrument zu bauen", das klanglich an die alten italienischen Geigen, Bratschen oder Celli vor allem aus dem goldenen Zeitalter von 1710 bis 1740 herankommt. "Wir sind Lichtjahre entfernt." So Moroder.

Klassikfestivals gehen oft mit Workshops und Instrumentenausstellungen einher. Das ist eine bewährte Mischung, ob Geiger zusammenkommen, Blechbläser oder Gitarristen. Oft sind bei dieser Gelegenheit auch Vorträge zu hören, gelegentlich setzt dann ein Luthier oder Geigenbauer seine Meisterstücke ins rechte Licht. Aber wohl selten dürfte ein Instrumentenmacher so grandiose Negativwerbung für sich und seine Branche betrieben haben wie Moroder. Denn er bringt das Dilemma seiner Zunft, wie er sagt, in seinem einstündigen Referat in der International Munich School, dem Hauptquartiert der Starnberger Musiktage 2016, schonungslos auf den Punkt. Letztlich müsse die wichtigste Frage lauten: Hat es heute überhaupt noch Sinn, als Geigenbauer zu arbeiten? Der Nachbau einer wirklich guten Geige von Antonio Stradivari jedenfalls sei letztlich "Blasphemie", es gebe auch keine Geigenbauschule mehr im alten Sinn, da gehe es mehr um "Laubsägearbeit".

Seine These: In den knapp 300 Jahren seit den Hochzeiten des italienischen Streichinstrumentenbaus sei das ganze alchemistische und metaphysische Wissen um die Klangmagie, den goldenen Schnitt und die "Harmonici mundi" verloren gegangen. Musik lasse sich ohnehin nicht durch Logik nachvollziehen. Es gebe beispielsweise keine mathematische Funktion, die natürliche Intervalle wie Sekunde, Quinte oder Sext beschreibt. Und die Frage, ob das menschliche Gehör eventuell an Planetenbewegungen gebunden ist, werde wohl ein Rätsel bleiben. Laut Moroder hätte es aber auch keinen Sinn, im 21. Jahrhundert wieder alte Maße wie Unze, Zoll oder Elle herauszuholen, denn heutige Instrumentenbauer, die wie ihre Vorfahren mit dem Dezimalsystem aufgewachsen sind, hätten kein Gefühl mehr dafür. Möglich seien vielleicht kleine Verbesserungen, doch die Annäherung an das alte italienische Klangideal bleibe wohl Illusion.

Denn es kämen noch zwei Punkte dazu: der Lack, der nicht mehr herzustellen sei, "der zweite Super-GAU", und der Umstand, dass eine Geige erst nach etwa 30 Jahren eingespielt ist, der Alptraum Nummer drei. Einige Zuhörer melden bei so viel Ehrlichkeit Zweifel an. Eine Frau erinnert sich an einen Blindtest mit diversen Geigen, bei dem am Ende ein Instrument aus Karbon zum Sieger gekürt wurde. Ein Mann meint, der Erfahrungsaustausch zwischen den Geigenbauern müsse eben mehr intensiviert werden. Und der Leiter des Festivals, Rudens Turku, versucht ebenfalls vermittelnd einzugreifen. Doch Moroder lässt sich nur ein kleines Zugeständnis entlocken: Er habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben und baue auch neue Geigen, sagt er.

Die Musiktage gehen am Donnerstag mit Workshops in der Schule in Percha weiter, abends spielen Stipendiaten im Kulturbahnhof (19 Uhr).

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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