Starnberg:Ein Pfund imaginäres Gras

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Zweifelhafter Zeuge zeigt geplanten Deal bei der Polizei an - und widerruft vor Gericht

Von Armin Greune, Starnberg

Drei junge Männer sind vor dem Schöffengericht angeklagt, weil sie angeblich in ein Rauschgiftgeschäft verstrickt waren. Einer von ihnen konnte nicht ausfindig gemacht werden, weshalb das Verfahren gegen ihn abgetrennt und vorläufig eingestellt wird. Die beiden Übrigen lassen über ihre Anwälte alle Vorwürfe bestreiten. Weiter geben sie keine Auskunft: Es drohen Haftstrafen, denn ein Pfund Marihuana geistert durch die Anklageschrift. Es soll einem 29-jährigen Starnberger angeboten worden sein - so hatte es der mehrfach Vorbestrafte laut Vernehmungsprotokoll bei der Polizei im Januar 2014 angezeigt.

Doch nun will der einzige Belastungszeuge davon nichts mehr wissen. Ein kleines Tütchen Gras sei ihm damals am Bahnhof Starnberg Nord gezeigt worden - ausgerechnet von dem Beschuldigten, der nicht zu greifen ist: "Die beiden hier haben nichts damit zu tun", beteuert der 29-Jährige, der mehrere Jahre wegen Betrugs in Haft verbrachte. Ein Verkaufsgespräch habe auch nie stattgefunden: "Ich hab ihm gesagt, dass ich kein Bock drauf hab und er sich verpissen soll." Der Kronzeuge bestreitet vehement, was die Beamten damals auf der Wache als seine Aussage aufnahmen: dass er zum Schein auf den Deal eingehen wollte, um einen wertvollen Beitrag zu den polizeilichen Ermittlungen über die Betäubungsmittelkriminalität in Starnberg zu leisten.

Doch jetzt heißt es: "Ich hatte nie etwas mit Marihuana zu tun." Die Anzeige muss also auf die Phantasie der Ermittlungsbeamten zurückzuführen sein. Das Vernehmungsprotokoll habe er zwar unterschrieben, sich aber gar nicht erst mit dem Lesen aufgehalten. Das mache er immer so, behauptet der 29-Jährige und hält trotz einigen Bohrens der Staatsanwältin daran fest.

Der weitere Verhandlungsverlauf trägt auch nicht dazu bei, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu untermauern. Im Gegenteil: Erstaunlicherweise sagt sogar ein Kripobeamter, der 29-Jährige sei von Beginn an "wenig glaubhaft" erschienen. Denn er habe schon in anderen Fällen falsche Beschuldigungen vorgetragen, um sich damit "irgendwelche Vergünstigungen" für eigene Strafverfahren einzuhandeln. Als das Gericht dazu den 29-Jährigen noch einmal hören will, hat der das Gerichtsgebäude bereits verlassen und ist nicht mehr aufzutreiben. Der Kripobeamte aber berichtet, dass alle Durchsuchungen bei den drei Verdächtigen nicht die geringste Spur von Drogen zu Tage förderten. Nur Chats auf einem Handy, "die auf Deals hinweisen könnten", aber das habe man nicht weiter verfolgt.

Bei dieser "Beweislage" können die Angeklagten dem Ausgang dieser Verhandlung relativ unbeschwert entgegensehen. Beide sind für die Justiz alte Bekannte: Der 28-Jährige ist wegen Volksverhetzung, Körperverletzung und räuberischer Erpressung verurteilt worden und hat schon in Jugendstrafanstalten und Gefängnissen gesessen. Der 24-Jährige kommt aus dem Vollzug zur Verhandlung. Seit Mai verbüßt er wegen Drogendelikten und Urkundenfälschung 15 Monate. Sein Strafregister weist elf Einträge auf: Delikte wie gefährliche Körperverletzung, Diebstahl und Nötigung sind darunter.

Gegen ihn hat das Gericht noch etwas in der Hand: Der 24-Jährige soll dem vermeintlichen Freund seiner Schwester im April 2014 eine Ohrfeige verpasst haben. Als die Polizei anrückte, warf der 24-Jährige ein Päckchen mit einem Gramm Marihuana weg. Nach einer Unterredung mit seinem Anwalt räumt der Angeklagte diese beiden Vorwürfe ein. Das Geständnis soll Freunden die Aussagen vor Gericht ersparen und vor allem erwirken, dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Doch als das Urteil verkündet wird, ist der 24-Jährige sichtlich geschockt und kämpft mit den Tränen. Wegen unerlaubten Besitzes einer geringen Menge an Cannabis und Körperverletzung muss er noch mal acht Monate hinter Gitter. Für eine Bewährungsstrafe hätten sich "zu wenig Anhaltspunkte für eine positive Sozialprognose" ergeben, sagt die Vorsitzende Richterin Brigitte Braun. Das Pfund Gras jedoch, "der bei weitem gewichtigere Anklagepunkt", sei nicht nachzuweisen gewesen, weshalb die Angeklagten frei zu sprechen sind.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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