Starnberger Tafel:Edith Clemm wirft hin

Lesezeit: 2 min

Edith Clemm hat am Dienstag ihre grüne Tafel-Schürze abgegeben. (Foto: Georgine Treybal)

Gründerin der Starnberger Tafel zieht sich überraschend zurück. Das sei nicht mehr ihr Werk, sagt sie. Mitarbeiter sind entsetzt. Der Grund: Querelen um den neuen Leiter Detlef Wagner und der rüde gewordene Umgangston

Von Christiane Bracht, Starnberg

Ihr Mitgefühl gilt denen, die kaum genug haben, um zu leben. Deshalb gründete Edith Clemm vor mehr als 17 Jahren die Starnberger Tafel. Seither organisierte sie jede Woche unverkäufliche Lebensmittel von den Starnberger Geschäften und verteilte sie mit einer Schar von Ehrenamtlichen an Bedürftige. "Mir ist schon klar, dass bei uns hier niemand verhungert", pflegte sie zu erklären. "Aber wer sein gesamtes Geld fürs Essen ausgeben muss, kann sich andere Dinge nicht mehr leisten, die das Leben lebenswert machen. Deshalb habe ich die Tafel gegründet." Und Clemm stand bis zum Donnerstag vergangener Woche immer an den Ausgabeständen, sommers wie winters, nahm sich Zeit für ihre Gäste, sprach mit ihnen, hörte sich ihre Probleme oder Schicksale an und achtete darauf, dass jeder zum Zug kam und keiner leer ausgeht. Ihr Name ist so eng mit der Tafel verknüpft, dass ihr die Stadt für ihr soziales Engagement auf dem Hof der evangelischen Kirche im April 2014 die Ehrenbürgerwürde verlieh. Am Dienstagabend verabschiedete sich Clemm von "ihrem Kind". Und sie ging nicht im Guten. Als sie um 18 Uhr ihre Schlüssel und ihre grüne Starnberger Tafel-Schürze zurückgab, sagte sie: "Das ist nicht mehr meine Tafel, die ich gegründet habe." Die inzwischen 80-Jährige hatte schon vor einiger Zeit die Leitung der Starnberger Tafel in jüngere Hände gelegt und sich in die zweite Reihe zurückgezogen. Doch seit Detlev Wagner die Zügel in der Hand hält, hat sich einiges verändert auf dem Hof der evangelischen Kirche - vor allem die Stimmung unter den Ehrenamtlichen und, wie von mehreren Seiten bestätigt, auch der Umgangston sei rüde geworden, auch gegenüber den Gästen der Tafel. Clemm litt offenbar sehr darunter. Denn für viele Bedürftige war der Donnerstag so etwas wie ein Feiertag. Dort konnten sie mal über ihre Sorgen reden oder sie einfach kurz vergessen, weil sie sich akzeptiert fühlten. Doch genau das habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren geändert, sagen die Helfer. Vor allem die langjährigen Mitarbeiter bedauern den Entschluss der Gründerin sehr. Sie verstehen jedoch, weshalb Clemm einen Schlussstrich ziehen will, und weshalb sie die Tafel, so wie sie jetzt geführt wird, nicht mehr als ihr Werk anerkennen kann.

Langjährige Mitarbeiter berichteten der SZ jetzt, dass Wagner die Gründerin der Tafel aus dem Team vertreiben wollte. Er habe Clemm donnerstags bei der Ausgabe der Lebensmittel des öfteren angebrüllt. Einmal so sehr, dass Clemm fast einen Herzinfarkt erlitten habe und im Krankenhaus habe behandelt werden müssen. Selbst im Beisein des Vorstands der Diakonie habe sich Wagner nicht gezügelt, sagen Zeugen. Es wäre besser, wenn sie nicht mehr käme - zumindest eine Zeitlang, habe er Clemm nahegelegt. Drei Helfer, die ihre Lebensaufgabe darin gefunden haben, sich bei der Starnberger Tafel zu engagieren, seien von Wagner ebenfalls verjagt worden. Sehr irritiert habe sich auch eine Spenderin gezeigt, deren Geld der Leiter der Tafel, nicht habe annehmen wollen, obwohl dies für die Bedürftigen bestimmt war.

Clemm zeigte sich erschüttert über die Herzlosigkeit, mit der das Team seit einiger Zeit miteinander umgeht. Wagner, der jetzt die Gründung eines Tafelvereins vorantreibt, erklärte der SZ bereits mehrfach, dass er momentan keine öffentliche Erklärung abgeben wolle. Zusammen mit Hans-Rainer Schuchmann, dem Vorsitzenden des Starnberger Diakonievereins, sowie Barbara Wanske und Michael Ramstetter, der 2014 im Zusammenhang mit dem ADAC Schlagzeilen machte, kümmert er sich nicht nur um die nötigen Formalitäten, sondern plant auch die Zukunft an der Spitze des Vereins. Eigentlich gehört auch Clemm zur Gründungsinitiative, doch sie wurde offenbar von manch einem konspirativen Treffen ausgeschlossen. Langjährige Helfer fürchten nun, dass die jetzige Führungsriege auf diese Weise Clemm ausbooten will.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: