Ausstellung:Das große Ganze

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Kunstschätze aus der Region: Blick in die Schütz-Wolff-Ausstellung im Museum Starnberger See. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Kreisstadt war für Johanna Schütz-Wolff, die in ihrem Werk Mensch und Tier als gleichwertige Wesen zeigt, eine wichtige Inspiration. Umgekehrt gilt das offenbar auch, wie eine Ausstellung zeigt

Von Max Hempel, Starnberg

Kennengelernt haben sich Franz Marc und Johanna Schütz-Wolff nie. 1916 fiel der für seine blauen Pferde weltberühmt gewordene Maler in der Schlacht von Verdun. Trotzdem verbindet beide Künstler eine Seelenverwandtschaft. Es ist die Liebe zur Natur und dem einfachen Leben auf dem Land, die beide in den Bann zieht und immer wieder inspiriert. Während Marc am Fuße der Alpen die Motive für seine Kunst entdeckt, findet Johanna Schütz-Wolff sie in den grünen Hügeln und blauen Seen des Landstrichs um Starnberg.

Seit November widmet sich eine Ausstellung im Museum Starnberger See dem Werk von Schütz-Wolff. Dabei sind auch einige Arbeiten aus ihrer Starnberger Zeit zu sehen. Doch auch über diese Werke hinaus scheinen die Jahre zwischen Fünfseen-Region und Voralpenland tiefe Eindrücke bei Schütz-Wolff hinterlassen zu haben - Topografie und Natur dieser Gegend ziehen sich wie ein langer geschwungener Pinselstrich durch ihr Werk. Der große Andrang auf die Ausstellung sei bisher zwar ausgeblieben, resümiert Museumsleiterin Sibylle Küttner, doch die die Reaktionen der Besucher, die kamen, seien durchweg positiv aufgefallen. "Die Ausstellung über Johanna Schütz-Wolff zeigt auch, was die Region Starnberg für Kunstschätze hervorgebracht hat."

Bereits im Sommer 1913, wie Zeichnungen in ihrem Skizzenblock belegen, macht die junge Schütz-Wolff Sommerurlaub mit der Familie im Voralpenland. Zwischen 1918 und 1919 wechselt die in Halle geborene und im Kunsthandwerk ausgebildete junge Frau an die Kunstgewerbeschule in München. In dieser Zeit beginnt sie sich der expressionistischen Malerei zuzuwenden. Anregung findet sie in den Bildern von Franz Marc. In den zwei folgenden Jahren unternimmt Schütz-Wolff häufiger Ausflüge raus aufs Land, um Studien für ihre expressiven Temperabilder zu malen. Draußen, in der Region um Ammersee und Starnberger See, gefällt es ihr. "Was ich jetzt male, ist rein sinnliches Empfinden, derb, brutal, und ich fühle mich darin eins mit dem ganzen Volk", schreibt sie. Von April 1920 an lebt sie für ein Vierteljahr in Dießen am Ammersee, um noch einmal die Landschaft zu genießen, die sie so lieben gelernt hat. In dieser Zeit besucht sie die Witwe von Franz Marc, Maria Marc. Sie gewährt Schütz-Wolff Einblick in die Skizzenbücher ihres Mannes, die die Grafikerin und Textilgestalterin tief beeindrucken und ihre eigene Kunst maßgeblich beeinflussen. Von Dießen zieht es sie weiter ins ländliche Schwabendorf bei Marburg und später nach Hamburg, wo ihr Ehemann Paul Schütz Hauptpastor an der St. Nikolai Kirche und später auch Professor an der landeskirchlichen Hochschule wird.

Nach dem Krieg kehren die beiden zurück nach Starnberg. Ihr Ehemann ließ sich wegen theologischer Kontroversen mit der Landeskirche 1952 in den vorzeitigen Ruhestand versetzen. Christiane Haslacher, Enkelin und Nachlassverwalterin von Johanna Schütz-Wolff, vermutet, dass ihre Großmutter in Hamburg nicht so glücklich war wie in Dießen oder Schwabendorf. Die Teppiche "Einsamkeit" und "Frau unter Bäumen" geben darauf einen Hinweis: Schütz-Wolff habe sich bei den beiden Werken immer wieder Bezugspunkte zur geliebten Natur geschaffen.

In Söcking findet das Ehepaar schließlich ein geeignetes Grundstück, auf dem ein Haus gebaut wird. Triftige Gründe für die Ortswahl gab es wohl nicht, nimmt Sibylle Küttner an. "Die Wahl wurde eher durch bestehende Freundschaften und künstlerische Kontakte in und um München geprägt." Die folgenden Jahre werden für Schütz-Wolff unglaublich produktiv. Wegen ihres fortschreitenden Alters und der mühevollen Arbeit am Webstuhl wendet sie sich verstärkt den weniger kraftraubenden Monotypien und dem Holzschnitt zu. Es scheint etwas Spirituelles und Urbildliches zu sein, das in Schütz-Wolffs Bildern, Monotypien und Teppichen Tier und Mensch als gleichwertige Kreaturen miteinander verbindet. Wie auch Marc versucht sie die Welt als großes Ganzes zu betrachten. Pflanzen, Tiere und Menschen erscheinen bei ihr als Kreaturen desselben Ursprungs oder verschmelzen sogar miteinander, wie in vielen ihrer späteren Monotypien. Arbeiten, die wie ein manifestiertes Staunen über die Einfachheit des Seins und die harmonische Verbindung zwischen Mensch und Natur wirken. In Schwabendorf bewirtschaftet sie einen eigenen Garten mit einigen Schafen und stellt später auch die Farben zum Weben ihrer Teppiche aus natürlichen Grundstoffen her. Bei Wandteppichen wie "Der Tote" oder "Die Angst der Welt II" wird die Suche nach der Einheit zwischen Mensch und Natur sichtbar. In ihren Webarbeiten umgibt Schütz-Wolff Menschen und Tiere mit einer allumfassenden dunklen Materie, die sich darüber hinaus wie ein Schatten durch jede Kreatur zieht. Mit den Monotypien wird die Formgebung zunehmend abstrakter, zeigt jedoch immer noch dieselben Motive und Verbindungen wie in den Jahren zuvor. Bei "Liegende Grün" wird dies für Haslacher ganz konkret. "Hier sind deutlich die Farben des am Haus liegenden Buchenwaldes und die Söckinger Endmoränenlandschaft zu erkennen. Aus dieser Landschaft heraus ergeben sich schließlich die Konturen einer liegenden Frau." Mensch und Natur verschmelzen endgültig miteinander.

Egal, zu welchem Zeitpunkt man das Werk der Künstlerin betrachtet: Überall finden sich Einflüsse der ländlichen Fünfseen-Region. Mit der Ausstellung, die noch bis 28. Februar läuft, werden wohl auch Schütz-Wolffs Fußstapfen in ihrer Wahlheimat Starnberg tiefer. Die Verbindung zwischen Ort und Künstlerin geht freilich über den Tod hinaus. Johanna Schütz-Wolff liegt auf dem Söckinger Friedhof begraben, ihre Kinder und Enkel sind mit der Region tief verwurzelt.

Am Sonntag, 24. Januar, gibt es von 15 Uhr an eine Führung zum Thema "Johanna Schütz-Wolff und die Expressionisten". Der Eintritt kostet zwölf Euro, ermäßigt zehn Euro.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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