Starnberg:Chopin in Jazz

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Ich bin Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder. (Foto: Georgine Treybal)

Florian Trübsbach und Leonid Chizhik probieren Neues

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Mit Romantik und Jazz ist es etwa so wie mit Äpfeln und Birnen. Den Harmonien der Romantik fehlt es zwar nicht an Modulationen und der Textur nicht an interessanter Rhythmik. Aber die Werke vermeiden den Swing und Groove, die Harmonien streben nach Auflösung in der Grundtonart, und die Melodik sucht die lyrische Süße. Kurzum: Die Musik der Romantik und des Jazz sind sich im Grunde wesensfremd. Aber genau diese Unmöglichkeit reizt wohl den moldauischen Pianisten Leonid Chizhik. Und wenn es jemand überhaupt schaffen kann, Chopins Musik überzeugend zu verjazzen, dann ist es er. Sein Potenzial dafür liegt in breit gefächerter Erfahrung und reichhaltigem Vokabular, die sich der nun Siebzigjährige akribisch einverleibt hat. Dies erlaubt ihm, den Werken auf den Grund zu gehen, sie weiter zu denken und ihnen ungeahnte Möglichkeiten zu entlocken.

Das hätte Chizhyk auf dem Konzertflügel der Starnberger Schlossberghalle gewiss auch alleine meistern können, wie er es meistens tut. Im Duo konnte er aber die Melodielinien weitgehend abtreten und sich auf die Grundsubstanz und in den Soli auf ihre virtuose Verarbeitung konzentrieren. Der Sopran- und Altsaxofonist Florian Trübsbach erwies sich dabei als genau der Partner, der das richtige Gespür für die Melodik der Romantik hat und auch einen ausgeprägten Sinn für die sentimental angehauchte Lyrik Chopins. Dies könnte durchaus daran liegen, dass der aus Köln stammende Musiker seine musikalische Ausbildung an der Violine und als Sänger im Tölzer Knabenchor begann. Die Art, wie er die wunderbaren Themen und Melodien vor allem am Sopransaxofon über allem schweben ließ, zeugte jedenfalls von einem tief empfundenen Verständnis für die Logik und Emotionalität der gesanglichen Linien Chopins.

Zuerst auf fünf Préludes zurückzugreifen, war insofern ein kluger Kunstgriff, da doch die Gattung auf die freie Improvisation zurückgeht. Als eine Form der Fantasie bietet das Prélude daher ein reichhaltig variierbares Material an, von weit ausschwingend wogender Poesie (Nr. 6 h-Moll) bis hin zum rhythmisierten Scherzando in intensiver Virtuosität (Nr. 7 A-Dur). Und immer wieder fand Chyzhik einen Groove im Begleitduktus oder auch eine beflügelnde Rhythmisierung, über die sich große hymnische Gesänge (Nr. 20 c-Moll) erheben konnten.

Das Material wurde nach der Pause reicher und gewichtiger, was wohl daran lag, dass gerade die Nocturnes Nr. 11 g-Moll und Nr. 15 f-Moll sowie der Valse Des-Dur, aber durchaus auch die harmonisch extrem komplexe Etüde Nr. 13 As-Dur sich dem Jazz vordergründig stärker widersetzen. Und je unbequemer, desto besser für das Duo, das hier aus dem Vollen schöpfte, obgleich es, wie Chizhyk in seiner Moderation vorausschickte, nur verschwindend wenig vorab vereinbart hatte. Die Musiker gingen also spontan an die Sache heran, ließen sich im gegenseitigen Ansporn zu überaus anspruchsvollen Erfindungen inspirieren. Vor allem Chizhyk, der gerade in die Etüde mit einem Ragtime einstieg, um Trübsbach mit einer heiter beschwingten Unterlage einen großen Raum für schrill-wilde Improvisationen zu öffnen. Eine spannende Reise durchs Werk Chopins, die viel Neues offenbarte und das Publikum begeisterte.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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