Starnberg:Blick in die Zukunft

Lesezeit: 2 min

Tipps vom Leiter des Fünfseen-Filmfestivals, Kinochef Matthias Helwig

Sobald ich an der Kinokasse stehe, gibt es die Frage nach meinem Lieblingsfilm. Welchen mögen Sie besonders, Herr Helwig? Das ist sehr schwer zu beantworten, weil die Filme auf einem Festival ja alle irgendwie die eigenen Kinder sind. Man hat sie zwar nicht geboren, aber durch die eigene Entscheidung oder Entdeckung erblicken sie das Licht der Leinwände im Fünfseenland. Die Wettbewerbsfilme sind alle ausgesucht und den Jurys zur Verfügung gestellt, und da will ich der Prüfung der Filmschaffenden und des Publikums nicht vorgreifen.

In der Sektion der Publikumspreise jedoch mag ich vor allem jene Filme, die nur hier auf dem Fünfseen-Filmfestival und sonst weder in München, in Bayern oder sogar in Deutschland zu sehen sein werden. Während man also die einen bald im Kino wiedersehen wird ( Broadway Therapy, Coconut Hero, Learning To Drive, Der Sommer mit Ma ma), werden die anderen nicht mehr laufen. Und da gibt es Meisterwerke wie A Few Cubic Metres Of Love über eine Liebe in Containern an der Grenze zwischen Indien und Afghanistan, In the Crosswind mit seinen unglaublichen Schwarz-Weiß-Tableaus, der sehr persönliche und genauso unglaubliche letzte Film von Niels Malmros Sorgen und Freuden und die immer wieder erstaunenden Filme aus Osteuropa. Ihre Bildsprache und ihr Rhythmus ist ein anderer als in unserer Filmwelt. Es werden nicht so viele Kompromisse gemacht, und es besteht der Mut dazu, Gesichter einfach anzuschauen, Gesten nachzuverfolgen oder eine Geschichte nur durch ein Bild zu erzählen. Gerade in Deutschland herrscht die Unart, eher zu viel als zu wenig in eine Geschichte hineinzupacken, wahrscheinlich aus Angst vor der Leere oder dem Moment, da die Zuschauer wegzappen können. Kino ist aber kein Fernsehen. Wer Filme für das Kino macht, muss gewahr sein, dass der Zuschauer sich auf den Film über seinen ganzen Zeitraum konzentrieren kann und dass er eben nicht den Saal verlässt. Deshalb begeistern Filme wie Nabat aus Aserbaidschan, Song Of My Mother aus der Türkei und vor allem die russischen Beiträgen auf dem Fünf Seen Filmfestival, The Gulls - Die Möwen, Name Me und The Postman's White Nights. In letzterem steht Kolya mit seinem Freund an einem wunderschönen See im russischen Norden und blickt über das Wasser, während im Hintergrund eine Rakete in den Himmel aufsteigt. Dieses Bild sagt genauso viel wie die Tonspur bei den Szenen in der nahen Stadt, die voller Getöse ist, als ein unendlicher Güterzug vorbeirattert.

In Name Me sind es die beiden Mädchenschauspielerinnen und ihr Vater, den das westliche Publikum aus S wyagintzews ("Die Rückkehr") kennt, die bestechen. In diesem Film über das Suchen nach der Identität ist es das Meer nahe dem Urlaubsort, das die Stimmungen vorgibt. In The Gulls ist es eine Bushaltestelle auf dem flachen, kalten Land in Kalmückien, welches das Thema bestimmt. Man muss nur hinschauen. Genauso verhält es sich beim letzten Werk von Denys Arcand ("Der Untergang des amerikanischen Imperiums", "Die Invasion der Barbaren"). In An Eye For Beauty wirkt alles glatt an der Oberfläche - ein Leben scheint vollends zu gelingen. Aber tut es das wirklich?

Zuletzt aber will ich noch auf den American Independent Film Time Lapse hinweisen. Die Besuchergruppe der 15- bis 35-jährigen gilt als wenig kinoaffin und inzwischen als Problemgruppe. Wie sehr hat sich doch das zu der Zeit vor noch zehn oder 20 Jahren verschoben, als diese Gruppe die stärkste Kinobesuchergruppe war. Time Lapse spricht diese Gruppe wunderbar an, versetzt sich in die Lebensumwelt dieser 20-Somethings und präsentiert eine spannende Geschichte um eine Zeitmaschine. Wollen wir die Zukunft wissen? Wollen wir sie ausbeuten? Und können wir sie ändern? Die nahe Zukunft wird den Gästen des Filmfestivals auf alle Fälle ein reichhaltiges Angebot an Filmen bringen, die einmalig sind und die deswegen diese zwölf Festivaltage so besonders machen.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: