Der zahlende Besucher, der ins Konzert geht, das Kinofestival besucht oder das Museum, will ein Ergebnis sehen. Zu Recht. Wie viel Arbeit dahintersteckt, bis das Konzept einer Jazz- oder Klassikreihe steht, die Rockband den Auftritt zusagt und das erste Bild einer Ausstellung am Nagel hängt, interessiert ihn in dem Moment nicht. Dabei ist auch das ein Kunststück: Festivals, Musik- und Theaterreihen trotz geringer Zuschüsse über Jahre am Laufen zu halten. In der SZ-Serie "Kulturmacher" schreiben Veranstalter, wie ihnen das gelingt und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.
Von Udo Schindler
Architektur ist eine universelle Kunst, die per se interdisziplinär ist. Skulpturale Form, musikalische Proportionen und Rhythmisierung, grafische Linienführung, malerische Wirkungen und Farbeffekte, theatralische Fassadenbildung, Designdetails, kalligraphische Texturen, poetische Stimmungen: Dies sind allerdings nur die sichtbaren Elemente. Auf intuitiver Ebene greifen weit mehr künstlerische Prinzipien ineinander, um schließlich Räume zu schaf-fen, die all diese Bezogenheiten aufeinander spüren und den Menschen darin zum Teil des Gefüges werden lassen. Und dies ist keine reine Theorie, habe ich doch selbst die Möglichkeit, diese Ideen in den Bauprojekten von wagnisART in München zu realisieren.
Eine derart unkonventionelle Arbeitsweise bedarf Freiräume, in denen sich Möglichkeiten auftun können. Sozusagen als Pendant zum Planegger Architekturbüro Schindler Architekten entstand daher 2009 auch ein "Salon für Klang+Kunst" im eigenen Privathaus in Krailling, der an der Schnittstelle zwischen Bildender Kunst, Performance und spontanimprovisierter Musik Freunden unkonventionell-grenzgängerischer Kunsterfahrung die Möglichkeit bietet, sich im intimen Rahmen dem Abenteuer unvorhersehbarer künstlerischer Erlebnisse hinzugeben. Ein sinnliches und emotionales Experimentierfeld, denn im Zentrum steht die Adhoc-Improvisation, auch Spontankomposition oder Neue Improvisationsmusik genannt, die selbst den Jazz mit seinen Formalismen hinter sich lässt und sein musikalisches Material gänzlich der momentanen Eingebung des Musikers überlässt. Selbst die Regeln der tradierten Instrumental- oder Stimmtechnik werden hier zwar meisterhaft beherrscht, doch gezielt überschritten: Beschränkungen unerwünscht! Die Interpreten schöpfen dabei aus ihrem musikalischen Fundus, den sie meist in verschiedenen Gattungen erworben haben. Man begegnet hier Musikern aus Klassik (vor allem Neue Musik), Jazz, Rock oder künstlerischer Performance.
Was sie in der Improvisation suchen, ist die freie, absolute Musik, die rein intuitiv meist im Ensemble auf Hören, Sich-Inspirieren-lassen sowie Reagieren und Interagieren basiert. Erlaubt ist, was einen Klang hergibt: Geräusche, Perkussives, Töne in jeglicher technischer Umsetzbarkeit, die Stimme. Harmonien, Melodien, Themen, Klangreinheit oder musikalischer Verlauf sind dabei irrelevant. In jeder Improvisation öffnet sich ein neuer Kosmos aus merkwürdigsten Klangfarben und strukturellen Konstellationen. Wohin die Reise geht, weiß niemand.
Eine solche Kunsterfahrung ist im Massenbetrieb nicht möglich. Nur maximal 40 Personen finden daher Platz im Konzertraum, der mit einem Pleyel-Flügel ausgestattet ist. Ein kleiner Raum für das Buffet schließt sich an. Der Austausch zwischen Publikum und Künstlern ist daher unvermeidbar und letztendlich auch das Ziel der Zusammenkünfte, die an den letzten Freitagen im Monat (Ausnahmen im August und Dezember) auch gerne von Künstlern diverser Sparten besucht werden. Der Grund für das Interesse der Fachwelt liegt auf der Hand: Wer hier seinen Auftritt hat, ist Topmusiker und -künstler, der diese seltene Bastion des Experimentellen fernab vom kommerziellen Kunstbetrieb aufs Höchste schätzt. Unter den Ausstellern fanden sich etwa Herbert Nauderer, Ekkeland Goetze und Hau Chun Kwong; unter den Klang-Text-Performern beispielsweise Sabine Kastius und Ruth Geiersberger. Unter den Musikern, die zu den mehr als 50 Salons nach Krailling kamen, ist die Liste der international renommierten Künstler weit länger. So kamen etwa Frank Gratkowski, Harald Lillmeyer, Philipp Kolb, Christoph Reiserer, Nina Polaschegg, Elisabeth Harnik, Sebastiano Tramontana, Masako Ohta, Gunter Pretzel, Andreas Willers, FP Schubert, Ute Völker und viele andere mehr. Und dies, obwohl es hier keine festen Gagen gibt: Die Künstler sind dem Wohlwollen der Besucher ausgeliefert. Und dennoch reisen sie selbst aus fernen Ländern an. Mittlerweile ist der Kraillinger Salon für Klang+Kunst durch die internationale Fachpresse bis in die USA bekannt. Viele im Salon entstandene hochwertige Mitschnitte, die in mehreren CD-Reihen erhältlich sind, wurden weltweit mit geradezu enthusiastischen Besprechungen bedacht. Eben erschien der Livemitschnitt des 50. Salons mit Annette Giesriegl (Stimme) bei Creative Sources in Portugal.
Um den Aufwand der Musiker möglichst gering zu halten, werden Bemühungen unternommen, den Gästen zeitnah weitere Auftrittsmöglichkeiten in München und Umgebung zu verschaffen. Mein Wunsch nach weiteren Spielorten im Landkreis Starnberg ist noch nicht in Erfüllung gegangen. Allzu rar ist offenbar diese künstlerische Perspektive und daher vielen Veranstaltern noch fremd. Der Salon setzt indes seine "missionarischen" Bemühungen fort. Katharina Weber (präpariertes Klavier, 25. September) aus Bern, Erhard Hirt (E-Gitarre und Elektronik, 30. Oktober) aus Münster und Maja Osojnik (Paetzold-Bassflöte, Stimme und Elektronik; 27. November) aus Slowenien haben sich bis Ende 2015 angemeldet.
Arch-Musik: Udo Schindler, Bergstraße 28c, Krailling, www.arch-musik.de.