Musik:Topos der Sehnsucht

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Die Orchestervereinigung Gauting unter Leitung von Dorian Keilhack glänzt im Bosco

Von Reinhard Palmer, Gauting

Kunst ist Ausdruck der Zeit, in der sie entsteht: Das kann man nicht oft genug wiederholen, wünschen sich doch immer wieder Konzertbesucher lieber ein schönharmonisches Berieseln im alten Stil. Ein Blick in die aktuellen Nachrichten rechtfertigt indes jede Dissonanz. Die Aktualität veranlasste auch Johannes X. Schachtner 2014 seine Threnodie (Klagelied) "Mare nostrum" dem Mittelmeer nicht nur als Topos der Sehnsucht, sondern auch des menschlichen Scheiterns wie Versagens zu widmen. In weiser Voraussicht der noch größeren Tragödie der Geflüchteten, die noch folgen sollte.

Die Orchestervereinigung Gauting unter Leitung von Dorian Keilhack nahm sich der gewichtigen Aufgabe im Bosco an und erstaunte mit einer ergreifenden Interpretation. Sicher, gerade die ungewohnten Spieltechniken könnten perfekter ausgeführt werden, doch die Komposition würde dadurch wohl kaum dazugewinnen. Ganz im Gegenteil: Das vorgesehene Schlagwerk etwa entstammte dem Schrottplatz. Spieltechnische Ästhetik entspräche eben nicht der Thematik. Der Ausdruck bewegt sich zwischen kaum hörbaren, dennoch bedrohlichen Streicherklangspuren, dramatisierendem Schlagwerk, wehklagendem Jauchzen und Winseln sowie panischen Blechbläsern - und einer mächtigen unterschwelligen Spannung, die das Orchester ausgeprägt spüren ließ.

Auf ein so weit offenes Ausdrucksspektrum eingeschworen, vermochten die Instrumentalisten auch in den weiteren Werken des Abends überaus differenziert Keilhacks Dirigat zu folgen. Insbesondere bei Brahms, dessen gewichtige Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 nicht weniger emotionale Anforderungen stellt. Was in Hinblick darauf, dass es sich hier um ein Amateurorchester handelte, am meisten begeisterte, waren die schlüssigen Entwicklungen, die über den reinen Notentext hinaus in fesselnder Weise musikalisches Empfinden vermittelten. Das Konzert für Waldhorn und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 11 von Richard Strauss gab den Musikern wohl noch zu wenig Material an die Hand, eine packendere Dramaturgie zu entwickeln, obgleich Solist Gabriel Stiehler mit ausgeprägter Sensibilität um jede noch so kleine Empfindung rang und das Orchester auch mitzuziehen bewog. Stiehler griff auch Straussens jugendliche Schwärmerei klangschön auf, sodass ein warmtoniges Klangszenario die satte Substanz durch reiches Kolorit changieren ließ. Bei Brahms fand das Orchester klarere Ausprägungen, die sich gerade in den Rahmensätzen mit einhelliger Wendigkeit offenbarten. Hervorzuheben ist das "Allegretto grazioso quasi Andantino", das sich - leicht und galant angesetzt- in schönharmonischer Entwicklung schließlich zur tänzerischen Verve steigerte. Der lang anhaltende, frenetische Applaus des Publikums würdigte eine überzeugende Leistung.

© SZ vom 15.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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