Leidenschaft:Dieser Junge ist ein Biber-Experte

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Mit Nachtsichtgerät und Spezialkameras beobachtet Julian Müller aus Percha die Tiere. Der Bub ist erst zwölf Jahre alt.

Von Sabine Bader, Starnberg

Julian Müller ist erst zwölf Jahre alt und schon ein echter Experte. Seine Leidenschaft gilt nicht etwa Computerspielen oder Fußball, sondern Bibern. Die Tiere breiten sich seit gut zehn Jahren im Fünfseenland wieder aus und sind unter anderem am Lüßbach heimisch geworden. Für Julian ist das ideal, denn er wohnt praktisch nebenan in Percha und kann sich so zu Fuß und mit dem Rad auf Spurensuche begeben. Wann immer es geht, schnappt er sich Julian sein Fahrrad und ab geht es ins Manthal. Dort angekommen, stapft er wie ein Scout durchs Gelände, lugt hier und da im Gehölz nach neuen Biberspuren. Frisch angeknabberte Baumstämme sind ein deutliches Zeichen für die Anwesenheit der Tiere. Biber sind reine Pflanzenfresser. Sie verspeisen außer Holz auch junge Triebe, Blätter und Feldfrüchte. Am Lüßbach gibt es mit 30 bis 50 Tieren die höchste Biberdichte im Landkreis Starnberg. Tendenz steigend.

Julian hat den Kennerblick drauf. "Da drüben", ruft er, "der Biberbau, der ist ja riesig jetzt!" Was Julian als Bau oder Biberburg ausmacht, schaut für manchen Spaziergänger wie ein extrem großer Reisighaufen aus. Besser erkennt der unbedarfte Wanderer da schon den nahen Damm im Seitenast des Lüßbachs und den säuberlich gegrabenen Kanal dorthin. Über ihn transportiert der Biber größere Stämme zum Wasser. "Der Kanal heißt auch Biberrutsche", erklärt Julian. Mit Hilfe des Damms, der aus Zweigen, Schilf, krautigen Pflanzen und Erde besteht, staut der Biber den Wasserlauf, um die Eingänge seiner Behausung unter Wasser zu halten.

Mit Bibern kennt sich Julian Müller richtig gut aus. (Foto: Nila Thiel)

Julian ist in seinem Element. Die Worte sprudeln aus ihm heraus an diesem Nachmittag. Altklug wirkt er dabei aber nicht; er kennt sich einfach aus. "Biber schwimmen gegen den Strom", erzählt er weiter. Die Tiere, die Julian zwischen Percha und Farchach beobachtet, sind also über die Würm in den Lüßbach gelangt. "Die Jungen bleiben zwei Jahren bei den Eltern im Bau, dann werden sie rausgeschmissen und müssen alleine zurechtkommen." Julian weiß so ziemlich alles über Biber: wie groß sie werden, wie viel sie wiegen, wie sie leben und wie sie die Natur verändern.

Dem Zwölfjährigen ist auch klar, dass Biber nicht nur Freunde haben. "Natürlich verändern sie die Vegetation." Durch die Baumfällungen und das Aufstauen des Wassers wandelt sich nicht nur die Landschaft, sondern auch die Pflanzenwelt. Neue Arten entstehen und alte sterben ab. Zu den neuen zählen beispielsweise Frühjahrsorchideen, Wollgras und Trollblume. Wo Biber heimisch sind, gibt es mehr Insekten, breiten sich seltene Vögel und Amphibien aus. Unter ihnen sind Waldschnepfen, Eisvögel, Wasseramseln, Dreizehenspechte, Flusskrebse und Libellen.

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Mit der Ankunft der Biber am Lüßbach kamen auch die Konflikte mit den Menschen. Denn die Tiere setzen Felder und Wiesen unter Wasser, untergraben Böschungen und fällen Bäume, um ihre Biberburgen zu errichten. Unstrittig haben sie auch am Lüßbach Feinde unter den Waldbesitzern, Landwirten und Grundstückseigentümern. Julian kennt auch sie, wenn so mancher von ihnen durch das Dickicht schleicht und Ausschau nach neuen Dämmen und Burgen hält.

Den Tieren selbst darf niemand ein Haar krümmen, denn sie stehen unter Schutz. Biber zu fangen, zu verletzen oder zu töten, kann in Bayern ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50 000 Euro nach sich ziehen. Der Biber lässt sich tagsüber so gut wie nie blicken; da bleibt er meist in seinem Bau. Zu groß ist ihm der Rummel draußen mit Spaziergängern, Radlern und Reitern.

Biber sind nächtliche Baumfäller. Julian bekommt sie dennoch zu Gesicht. Dafür hat er zwei Kameras mit Bewegungssensoren so platziert, dass er die Tiere bei der Arbeit filmen kann. Auch ein Nachtsichtgerät haben ihm seine Eltern geschenkt. Bei seinen Streifzügen mit dabei sind meistens entweder sein Freund Gian Reto, Sohn der Gaststättenbetreiber im Manthal, oder sein Vater Jürgen Müller. Die Eltern unterstützen das Hobby ihres Sohnes. "Man merkt, dass Julian dabei sehr glücklich ist", sagt der 46-jährige Vater. "Da geht einem das Herz auf." Er begleitet seinen Sohn bei allen nächtlichen Touren, tagsüber ist auch seine Frau Miriam oft dabei.

Mit einer Wildkamera fotografiert Julian Müller die Tiere. (Foto: Jürgen Müller)

Geweckt hat Julians Interesse an Bibern der örtliche Jäger. Da war der Bub gerade mal acht Jahre alt und ging noch zur Grundschule. Inzwischen besucht er die sechste Klasse des Gymnasiums Kempfenhausen. Über das Internet hat Julian vor mehr als zwei Jahren auch herausgefunden, dass es im Landkreis Starnberg Biberberater gibt. Julian rief den für das Ostufer zuständigen Experten einfach an. Und er kam im wahrsten Sinne des Wortes genau an den Richtigen: Denn Kurt Goebel-Sprenger war begeistert vom Engagement des Buben und dessen Eltern. Mit Goebel-Sprenger war Julian schon diverse Male unterwegs. "Er hat mir alles gezeigt und erklärt", sagt der Bub.

Seit zehn Jahren ist Goebel-Sprenger Biberberater am Starnberger See. Er mag den Begriff "Biberberater" eigentlich gar nicht. Aus gutem Grund: "Denn schließlich berate ich keine Biber, sondern Leute, die mit den Tieren zu tun haben", also Waldbauern, Landwirte, Grundbesitzer. Goebel-Sprenger versucht, die Konflikte zu entschärfen, die zwischen den Menschen und den Tieren entstehen. Er betreibt in gewisser Weise Öffentlichkeitsarbeit. Er wirbt dabei um mehr Verständnis für die Tiere und deren Bedürfnisse. Er versucht aber auch, Probleme an Ort und Stelle zu lösen, in dem er beispielsweise Maschendraht um Baumstämme wickelt, um diese vor Bissen zu schützen. Auch finanziell können Betroffene auf Hilfe hoffen. Zum Ausgleich von Schäden stellt der Freistaat jährlich 450 000 Euro bereit. Nur wenn sich ein Konflikt nicht lösen lässt, fangen Fachleute Tiere ein und bringen sie in eine Auffangstation.

Der Graben zum Lüßbach dient den Biebern zum Materialtransport. (Foto: Nila Thiel)

Der Biber begleitet übrigens nicht nur Julian schon von Kindheit an, sondern auch Goebel-Sprenger. Der heute 67-Jährige wurde nämlich in Bosau, einem kleinen Ort am Plöner See in Schleswig-Holstein geboren. Dort gab es ebenfalls Biber. Die kamen Anfang der Fünfzigerjahre in seinem Elternhaus gelegentlich auf den Tisch. Immer dann, wenn sie dem Vater quasi vors Gewehr liefen. Der Vater ein Wilderer und der Sohn ein Tierschützer? "So ist es", sagt er und lacht. Er selbst ist gelernter Förster und Naturschutzwächter.

Auch Julian und sein Freund Gian Werben um mehr Verständnis für Tiere und Natur: Schon in der Grundschule hat Julian einen Vortrag über die Nager gehalten und für Gäste im Gasthaus "Manthaler" bieten die Buben Biberführungen an.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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