Musik:Melancholische Reise

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Ein Mann der leisen, stark melancholischen Töne: der gebürtige Weßlinger Julian Heidenreich. (Foto: Fuchs)

Das Heimspiel des Singer-Songwriters Julian Heidenreich in Weßling

Von Berthold Schindler, Weßling

Berlin mag deutlich aufregender sein als Weßling, aber trotzdem reist der Singer-Songwriter Julian Heidenreich gerne von der Hauptstadt in die Fünfseengemeinde. Der Grund: Für den gebürtigen Weßlinger ist der Auftritt im Pfarrsaal ein Heimspiel, viele bekannte Gesichter im Publikum bereiten ihrem Julian einen warmen Empfang. Wohin die Reise musikalisch geht, ist bereits vom ersten Stück an klar. Mit weicher Stimme und ruhigen, einfachen Riffs erzählt der vielseitige Musiker persönliche, oft melancholische Geschichten aus seinem Leben, es dauert nicht lang, bis er die Zuhörer in seinen Bann gezogen hat. Nach ein paar Stücken scherzt Heidenreich: "Unglaublich, wie ruhig ihr seid. Man könnte glatt meinen, ihr hört zu."

Stilistisch liegt Heidenreichs Musik deutlich näher bei Pete Yorn als bei Bob Dylan. Passend zu seiner Stimmgebung und der intimen Stimmung im Saal zupft und schlägt er die Saiten der Akustikgitarre sanft an. Es ist, am Tag nach den Pariser Anschlägen, ein Abend der leisen Töne. Kühne Harmoniewechsel setzt der sympathische Musiker mit dem Wuschelkopf und der Nerdbrille selten, aber effektvoll ein; allenfalls sachte Dissonanzen mischen sich in die ansonsten behutsamen Akkordwechsel. Für den Song "The Stroke" wechselt er erstmals ans Keyboard. In Reminiszenz an den berühmten Satz aus Beethovens Mondscheinsonate begleitet sich Heidenreich mit gebrochenen Dreiklängen. Zwischen Dur und Moll scheinbar ziellos changierend, spannt er den dramatischen Bogen hin zum erschütternden "Stroke", auf Deutsch Schicksalsschlag, im Chorus. Was den Gesang betrifft, entfaltet der Bariton von Heidenreich die stärksten Seiten im hohen Register: Wenn er beim Gitarrenspielen sein Kapodaster ein paar Bünde nach rechts schiebt, entlockt er seiner Stimme dazu seelenvolle Falsetttöne.

Für "Pictures That I Owe You" wechselt der Singer-Songwriter erstmals zu seiner E-Gitarre, wobei sich schon kurz darauf beim Radiohead-Cover "Exit Music" zeigt, dass er Pianotasten einen Tick besser zu bespielen weiß als Gitarrensaiten; manchmal schleichen sich ein paar falsche Akkorde beim Strumming ein. Für "Nothing New" verzerrt er per Footswitch den E-Gitarrensound. Das Lied klingt dementsprechend ein bisschen rockiger, bei anderer Instrumentierung würde eine Grunge-Nummer daraus. Ein Song fällt besonders auf: "Lake A", womit der Ammersee gemeint ist. Hinter den Lyrics verbirgt sich die Geschichte eines tragischen Unfalls, die der Wahlberliner musikalisch verarbeitet hat. Prompt kommen harte Powerchords ins Spiel, Heidenreich wird energetisch, zupackend. Einfach nur großartig gesungen ist seine Liebeskummerballade "Get Me Over You", wo er über mehrere Register seiner Stimme hinweg mit dem Publikum seine Erinnerungen an eine frühere Liebe teilt. Als er nach seinem 90-minütigen Konzert unter herzlichem Klatschen von der Bühne tritt, ist Heidenreich sichtlich gezeichnet von der emotionalen Reise, auf die er sich selbst geschickt hat. Aber er lächelt.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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