Kultur:Mäßiger Musikgenuss

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Der Open Air-Auftakt des Carl Orff Festes bietet wunderbare Ensembles und ein spannendes Programm - leidet aber unter einer dürftigen Lautsprecheranlage

Von Reinhard Palmer, Diessen

Die "Carmina Burana" Carl Orffs sind eine wahre Goldgrube: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo auf der Welt "O Fortuna" erklingt. Und die Tantiemen fließen aufs Konto der testamentarisch verfügten Carl-Orff-Stiftung, Stiftungsrecht und Stiftungszweck in der Satzung bestimmen, dass mit den Einnahmen Orffs Werk verbreitet werden muss. Eine Stiftung darf kein Kapital anhäufen und muss das Geld im Sinne der Satzung ausgeben, zudem kann sie selbst nicht als Veranstalter auftreten. Gerade das macht die Arbeit der Stiftung allerdings nicht leicht, denn zuverlässige Partner, die sich im Sinne des Stiftungszwecks engagieren, sind schwer aufzutreiben - und so scheiterte man schließlich auch in Andechs.

An der japanischen Interpretation seiner "Intrada" durch Takuya Taniguchi, Carl Amadeus Hiller und Thomas Sporrer hätte Orff seine Freude gehabt. (Foto: Nila Thiel)

Mit Florian Zwipf-Zaharia, der nach einer Insolvenz nun wieder für neue Aufgaben zur Verfügung steht, fand der Stiftungsvorsitzende und einstige Orff-Schüler Wilfried Hiller einen handsamen Veranstalter, der sich eher im Hintergrund hält. Die einzige Unternehmung der neu gegründeten Füssener Firma "Arte-Musica-Poetica UG" unter künstlerischer Mitwirkung von Wilfried Hiller ist das Carl-Orff-Fest, dessen Auftakt nun über die Wiese ging: Die Wiese am einstigen Privatanwesen Orffs in Dießen, in dem der Komponist einige Werke ersann. Passen Perspektive und Wetter, ist von dort aus der Blick über den Ammersee hinweg bis zur Andechser Kirche möglich, wo Orff seine letzte Ruhestätte fand. Auf dieser Wiese träumten schon einige Orffeaner von einem eigenen Festspielhaus. Platz gäbe es dafür jedenfalls genug, und das Anwesen gehört der Stiftung.

Ein spannendes Programm bot der Open-Air-Auftakt des Carl Orff Festes. (Foto: Nila Thiel)

Auch wenn es hieß "Das Weltenrad dreht sich wieder!", geht es heuer keineswegs um eine Fortsetzung der Andechser Orff-Festspiele. Bis auf eine szenische Lesung sucht man Bühnenwerke vergeblich im Programm. Thema ist "Carl Orff, seine Vorbilder, Lehrmeister, Partner und Schüler": Also ein umfassender, persönlicher Blick auf den Komponisten in verschiedenen Veranstaltungsformen wie Vortrag, Workshop, Lesung über Konzerte bis hin zum Kompositionswettbewerb an mehreren Orten rund um den Ammersee.

Das Mendelssohn Vocalensemble unter der Leitung von Karl Zepnik war über die mäßige Verstärkeranlage nur in schlechter Tonqualität zu verfolgen. (Foto: Nila Thiel)

Dass Generalsekretärin Judith Janowski bei der Begrüßung unter zahlreichen Ehrengästen einen Namen hervorhob, hatte schon seine Berechtigung: Die heute 95-jährige Schweizer Koloratursopranistin Colette Lorand, die 1973 bei den Salzburger Festspielen unter Herbert von Karajan die Uraufführung von Orffs "De temporum fine comoedia" mitsang, adelte zweifelsohne die Veranstaltung. Im Grunde ging es hier um ein recht feines Abendessen unterm Baldachin mit einer musikalischen Vorspeise, die allerdings in Relation zum Aufwand vor der Bühne etwas dürftig ausfiel. Nicht etwa, weil die ausführenden Künstler schlecht gewesen wären. Aber das wunderbare Mendelssohn Vocalensemble unter der Leitung von Karl Zepnik mit E-Piano-Begleitung und wenig Mikrofonen über eine mittelmäßige Lautsprecheranlage singen zu lassen, erinnerte an eine Radioübertragung der 1950er Jahre.

Schade um den künstlerischen Genuss, denn es standen - von Rundfunksprecherin Elgin Heuerding angesagt - einige spannende Werke auf dem Programm. Orff selbst war hier mit seinen hymnischen "O Fortuna" und "Odi et amo" vertreten. Für die zeitgenössische Vokalmusik war zudem "Omnia Tempus habent" für Sprechchor und Schlagzeug eines der Schüsselwerke. Die zum Pauke-Puls skandierten Texte spielten mit den Klangwerten der lateinischen und deutschen Sprache in unterschiedlicher Diktion bis hin zum Flüstern. "Canzon s'al dolce Loco" von Orff-Schüler Wilhelm Killmayer erwies sich als dynamisch stark differenziert, gospelartig im Duktus, mit groovendem Schwung, doch mit impulsiv anschwellender Pointierung übers Traditionelle hinausgeführt.

Ganz anders Hillers "Die Himmelsscheibe von Nebra" für Chor und zwei Ambosse in verschiedenen Tonhöhen nach Gedichten von Mimnermos und Albert von Schirnding. Das Werk hat fast rituellen Charakter und schöpft monumentale Größe aus einer strengen Archaik, eindringlicher Kargheit und sakraler Monotonie.

Große Freude hätte Orff wohl an den japanischen Trommlern gehabt, war er doch auch ein Musikethnologe, der selbst eine Menge traditioneller Tonerzeuger von Reisen mitbrachte. Seine "Intrada" für diese exotischen Instrumente, interpretiert von Carl Amadeus Hiller, Takuya Taniguchi und Thomas Sporrer, umrahmte das Programm geradezu auf mystische Art. Stefan Hunstein brachte mit Rezitation von Gedichten Brechts, die Orff vertont hatte, einen weiteren Aspekt ins Spiel, mit dem sich das neue Festival befassen will - vom 8. August an und in bester Tonqualität.

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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