Interview mit Markus Stockhausen:"Musik bringt einen unmittelbar ins Jetzt"

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"Aber für mich ist das ganz wesentlich: dass die Menschen zu sich finden": Trompeter, Flügelhornspieler und Komponist Markus Stockhausen aus Köln. (Foto: Jürgen Bindrim)

Der Trompeter Markus Stockhausen, der mit seinem Quartett Quadrivium im Oktober in Starnberg gastiert, spricht über Spiritualität, Intuitive Musik und die Impulse durch seinen Vater, den Avantgardekomponisten Karlheinz Stockhausen

Interview von Gerhard Summer, Starnberg

Die Musik dieses Quartetts hat mystische Tiefe und klingt unglaublich schön, ohne Gefahr zu laufen, jemals ans Seichte zu rühren: Der Trompeter Markus Stockhausen kommt im Oktober mit seinem Ensemble Quadrivium zu einem Gastspiel in der Reihe "All that Jazz" nach Starnberg. Der 59-Jährige gilt als einer der vielseitigsten und technisch versiertesten europäischen Musiker, bringt viel Erfahrung als Interpret klassischer und zeitgenössischer Werke mit und hat mehr als 80 CDs aufgenommen. Auf dem Programm des Abends in der Schlossberghalle stehen eigene Jazzkompositionen, durchaus mit klassischen Wurzeln, mit Raum für spontane Improvisationen. Die SZ sprach mit dem Sohn des Avantgardekomponisten Karlheinz Stockhausen.

SZ: Sie haben 25 Jahre lang mit Ihrem Vater musiziert, was war dabei Ihre wichtigste Erfahrung?

Markus Stockhausen: Er hat mich herangeführt an ein professionelles Musiker-Sein, hat mich vertraut gemacht mit seiner ganzen Musizier- und Denkweise, und er hat viele Stücke für mich geschrieben, die wir an bedeutenden Orten aufgeführt haben. In der Oper "Donnerstag aus Licht", die 1981 in der Mailänder Scala ihre Uraufführung erlebte und 1985 in Covent Garden nochmals in London gezeigt wurde, durfte ich eine Hauptrolle spielen. Aber es gab schon vorher Höhepunkte der gemeinsamen Arbeit, zum Beispiel mit vielen internationalen Aufführungen des Werkes "Sirius". Ich habe sehr viel von ihm lernen können. Schon als Kind habe ich an etlichen Uraufführungen und Konzerterlebnissen teilgenommen, sodass seine Musik für mich normal wurde und in der ganzen Hörerfahrung für mich Erlebnisräume aufgegangen sind. Ich hatte Einblick in das komplexe Leben eines musikalischen Genies, daher fühle ich mich noch heute privilegiert, so einen Vater gehabt zu haben.

Sie haben mit ihm auch Intuitive Musik gemacht?

Ganz wenig. Aber er hat 1975 den ersten Impuls gegeben: Er lud mich ein zu einer Aufnahme von "Zugvogel" in einem Londoner Studio. In den Achtzigerjahren dann habe ich seine Textstücke oft mit dem Ensemble für Intuitive Musik Weimar gespielt, damals noch in der DDR, die waren ganz große Fans von ihm, und danach bin ich ganz eigene Wege gegangen mit der Weiterentwicklung der Intuitiven Musik.

Sie haben in der Maternus-Kirche in Köln in zehn Jahren etwa 120 Konzerte mit Intuitiver Musik gegeben. Können Sie beschreiben, wie das abläuft? Es gibt zwar keine Vorgaben wie Takt oder Tonart, aber ist es andererseits nicht auch problematisch, dass jeder sozusagen angefüllt ist mit musikalischen Floskeln?

Sicherlich, insofern ist die Grundvoraussetzung für diese Art von Musik, dass man sich leer macht. Man versucht wirklich, den Moment zu fühlen und in sich selbst hinein zu lauschen. Wir haben vor den Konzerten oft miteinander meditiert, sodass die Töne frisch kommen können. Der Musiker muss bereit sein für eine spontane Inspiration. Es lässt sich natürlich nicht trennen, irgendwo im Hintergrund ist alles vorhanden, was man jemals gespielt und gehört hat, im kollektiven Erfahrungsschatz der Welt ist die ganze Musik gespeichert. Dennoch ist das eine ganz andere Herangehensweise als die eines Interpreten oder eines Jazzmusikers, wo doch Dinge festgelegt oder verabredet werden. Die ganze Grundeinstellung ist anders.

I st das nicht irrsinnig anstrengend? Sie müssen hellwach sein, viel mit dem Kopf arbeiten, um zu hören, in welchen Tonarten sich Ihre Mitspieler bewegen, den Kopf aber auch wieder ausschalten, damit Sie vom Gefühl her reagieren können?

Das ist die Herausforderung, aber es ist eben auch die spannendste Art, Musik zu machen. Mein Vater hat das in Gang gesetzt, und ich habe die Latte hoch angelegt und versucht, das mit Kollegen in Konzerten und auf CD-Aufnahmen und in vielen Kursen weiter zu treiben. Ein sehr schönes Dokument ist die CD "Spaces & Spheres" mit guten Musikern, die eher aus dem klassisch-zeitgenössischen Bereich kommen.

Ist Intuitive Musik Ihr liebstes Fach?

Es ist zu dem geworden, was ich oft mache, zum Beispiel mit meiner Frau, der Klarinettistin Tara Bouman in unserem Duo Moving Sounds. Ich habe in letzter Zeit aber auch wieder Spaß bekommen am Jazz, mit dem Pianisten Florian Weber zusammen im Duo oder mit meinem Quartett Quadrivium. Das sind mir sehr liebe Formationen, wo die Mischung von Komposition, Improvisation und freien Elementen ein Gefühl von reicher Fülle bringt. Denn man kann alles, auch das Komponierte, mit einfließen lassen und schnelle Richtungswechsel vollziehen.

Quadrivium spielt aber doch festgelegte Kompositionen.

Jein, an dem Abend spielen wir etwa zehn Stücke, aber mit vielen Improvisationen, wie es im Jazz üblich ist, und auch ganz freien Passagen. Diese Musiker können auch sehr gut intuitiv spielen. Wir hatten gerade in Rumänien ein Konzert in einer Kirche mit ganz freier Improvisation.

Auf Youtube ist ein Kommentar unter einem Video von Quadrivium zu lesen. Nach einem Konzert in der Kölner Philharmonie schreibt da jemand: "Ich bin geflogen und habe mich gefühlt, als ob ich beten würde. . .Tue ich nie. . .Heute irgendwie schon." Ist es das, worauf Sie mit Ihrer Musik abzielen?

Ich freue mich total, wenn etwas Wesentliches im Menschen berührt wird. Das kann man mit dem Begriff Spiritualität beschreiben. Irgendwo in meiner Musik schwingt das mit. Das ist aber kein erklärtes Ziel, man kann Musik auf unterschiedlichen Ebenen hören. Ich mache einfach die Musik so, wie ich es fühle.

Sie geben auch Kurse, die in diese Richtung gehen, zum Beispiel "Wenn die Seele singt - Singen und Stille". Was vermitteln Sie den Teilnehmern?

Musik ist ein Medium, das, wie ich finde, der Spiritualität ganz nahe ist, weil man ein intensives Gefühlserleben hat und der ganze mentale Apparat weniger im Sinne des sonstigen alltäglichen Denkens gefordert ist. Musik bringt einen unmittelbar ins Jetzt. Damit hat man eine gute Voraussetzung, sich selbst zu spüren und tiefere Erlebnisse zu haben. Denn wenn man in sich selber immer tiefer vordringt, steht man an einer Pforte zum Transzendenten. Das ist wie eine Pforte zu einem viel, viel größeren Raum, mit dem man sich dann verbunden fühlt.

Was viele Menschen heutzutage nicht mehr erreichen?

Haben sie es je? Aber für mich ist das ganz wesentlich: dass die Menschen zu sich selber finden. Nur wenn man in Kontakt mit seinem inneren Wesen ist, kann man auch in Frieden mit sich selbst sein. Sonst ist man immer wie so ein Blatt im Wind, immer hin- und hergebeutelt von Schicksalsschlägen und den Einflüssen anderer. Frieden in der Welt beginnt immer beim Einzelnen. Und das geht nur, wenn man auch einen Bezug zu sich selbst hat.

Musik hat etwas Meditatives und Therapeutisches?

Kommt darauf an, was für eine Musik. Musik kann wirklich ein fantastisches Medium sein für Spiritualität, Heilung, Selbstfindung, Kommunikation, Kreativität und Freude, aber auch um etwas zu überschreiten und hinter sich zu lassen. Wie der Musiker und Mystiker Hazrat Inayat Khan sagte: Musik ist die Sprache der Seele.

Quadrivium spielt am Dienstag, 11. Oktober, in der Reihe "All that Jazz" in der Schlossberghalle Starnberg. Das Konzert beginnt um 20 Uhr. Kartentelefon: 089/54818181.

© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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