Gelebte Demokratie:Im Namen des Volkes

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Wohnungsbau, Wochenmarkt und Inklusion: Gleich sechs Petitionen und Bürgerbegehren bewegen derzeit den Landkreis. Die Tutzinger Akademie-Direktorin Ursula Münch findet das sinnvoll, "solange die Leute sich nicht verkeilen".

Von Sabine Bader und Manuela Warkocz, Starnberg

Susann Dohm ist eine Mutter mit einem Anliegen. Die Starnbergerin will, dass ihr behinderter Sohn in einer Inklusionsschule unterrichtet wird. Im Landkreis Starnberg ist ihr dies nicht möglich, darum startete sie eine Petition für weitere Inklusionsschulen, die in kurzer Zeit mehr als 500 Unterstützer findet und es innerhalb weniger Wochen in die Kreispolitik schafft.

Das ist ein Beispiel für jemanden, der mit einer Gegebenheit unzufrieden ist, selbst initiativ wird und versucht, konkret etwas zu verändern. Natürlich werden Bürger oft nur dann aktiv, wenn Dinge sie selbst tangieren. Das Beispiel zeigt aber, dass sich über 500 Menschen auch für etwas mobilisieren lassen, wenn sie, wie im Fall des behinderten Kindes, gar nicht persönlich betroffen sind.

Die Bürger wollen immer öfter mitreden, und das nicht nur alle vier bis sechs Jahre bei Wahlen. Gerade in ihrem Umfeld wollen sie gestalten, gefragt und gehört werden. Sie verfassen Online-Petitionen, starten Bürgerbegehren und setzen Bürgerentscheide durch. Im Landkreis Starnberg sieht man dies derzeit besonders deutlich: Hier laufen gerade sechs Petitionen und Bürgerbegehren.

Mutter bringt Landkreis Inklusion bei

Die Starnbergerin Susann Dohm, deren Sohn Elias eine Schulbegleitung braucht, kämpft für bessere Inklusion im Landkreis. Ihre Internet-Petition unterstützen in kurzer Zeit 500 Unterzeichner. Die SPD greift die "mangelhafte schulische Versorgung" auf, bringt das Thema in den Kreistag. Der Landkreis will sich nun beim Freistaat dafür einsetzen, dass weitere Inklusionsschulen etwa in Starnberg, Gauting oder Gilching entstehen. Zudem soll es einen Fachtag mit Behörden geben, um insbesondere über die Schulbegleitung von Kindern mit Behinderung zu beraten. "Erster wichtiger Schritt", so Dohm. manu

Irreführende Formulierung

1730 Unterschriften haben die Gegner des B2-Tunnels vor einem Jahr in drei Wochen gesammelt, doch die Starnberger werden vorerst nicht über den Bau entscheiden. Erst hat eine Mehrheit des Stadtrats, dann Anfang März das Münchner Verwaltungsgericht das Bürgerbegehren wegen der irreführenden Formulierung abgelehnt. Die Stadt könne nichts mehr gegen die Röhre unternehmen. Der Bund hat bereits 200 Millionen Euro bereitgestellt, das Staatliche Bauamt Weilheim plant den Spatenstich im Juli. Allerdings prüfen die Gegner noch, ob sie die Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragen. dac

Gilching gegen Gauting

Gauting will in der Nähe der Lindauer Autobahn gleich neben dem Gilchinger Gewerbegebiet Süd auf mehreren Hektar Flächen für Firmen ausweisen - zum Teil im Landschaftsschutzgebiet, ärgern sich die Nachbarn. Darum hat das Gilchinger Bündnis "Pro Bannwald" um SPD-Gemeinderat und Landtagskandidat Christian Winklmeier Anfang Februar eine rechtlich unverbindliche Online-Petition gestartet. Derzeit unterstützen 1049 Nutzer die Aktion, doppelt so viele wie das selbst gesteckte Quorum. Die Forderung geht nun an Landrat Karl Roth und die Kreisräte, die sich zum Gautinger Plan äußern sollen. dac

"Baukolosse" oder 60 nötige Wohnungen?

Für die Gegner sind es "Baukolosse", für die Befürworter 60 dringend benötigte Wohnungen, Supermarkt, Drogerie und Arztpraxen, die Gauting am Grundschulareal auf 4500 Quadratmetern plant. Die Initiative "Gauting aktiv" hat Anfang des Jahres 2673 gültige Unterschriften gegen den Bau vorgelegt - mehr als doppelt so viele wie benötigt. Damit kommt es am 15. April zum Bürgerentscheid. Dem stellt die Gemeinde ein Ratsbegehren gegenüber, das mit 17 zu fünf Stimmen beschlossen wurde. Auch die Befürworter in der Gemeinde gaben eine Initiative gegründet: "Zukunft Gauting". dac

Petition für mehr Schulwegsicherheit

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(Foto: Nila Thiel)

In Kempfenhausen setzen sich Schüler gegen das Verkehrschaos vor dem Landschulheim zur Wehr. Jahrelang waren sie wegen der Zufahrt- und Parksituation vertröstet worden. Die Schülerverwaltung bringt Mitte März eine Petition für mehr Schulwegsicherheit auf den Weg. Der große Erfolg überrascht selbst die Initiatoren: Innerhalb weniger Tage bringen sie 500 Unterschriften zusammen. Daraufhin greift der Gemeinderat von Berg das Thema auf. Bürgermeister Rupert Monn will sich nun der Sache noch einmal annehmen und alte Pläne aus der Schublade holen - gemeinsam mit dem Schulträger. manu

Wochenmarkt als Zankapfel

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Gegen den Umzug des Wochenmarkts in Krailling auf den Paulhanplatz regt sich Widerstand. Hans Schuster, Edith Sassen und Rudolf Heinrich sind die Initiatoren eines Bürgerbegehrens gegen diesen Plan, über den seit acht Jahren debattiert wird. Sie wollen innerhalb von zwei Wochen 600 von 5400 Mitbürgern am Ort mobilisieren und zur Unterschrift bewegen. Der Umzug von der Brauerei auf den Paulhanplatz wäre Teil der Kraillinger Innenstadterneuerung. Die Gegner kämpfen nicht nur mit Argumenten. Da spielen auch Emotionen eine Rolle. Sie fühlen sich vom Rathaus nicht ernst genommen. manu

Ähnlich schnell wie Susann Dohm haben auch der Kempfenhausener Schüler Joshua Grasmüller und seine Mitstreiter mehr als 500 Unterstützer für ihr Konzept in Sachen mehr Sicherheit vor der Schule gefunden und sich politisches Gehör verschaffen können. Ihr Anliegen wurde kürzlich im Berger Gemeinderat besprochen und Rathauschef Rupert Monn hat zugesichert, nochmals aktiv zu werden.

Im Kempfenhausener Fall ist Joshua Grasmüller erst 15 Jahre alt. Das ist kein Problem: Denn wer eine Petition vorbringt, muss weder volljährig noch deutscher Staatsbürger sein. Das Bürgerbegehren hingegen, das - so es zulässig ist und ausreichend Unterstützer findet - in einem Bürgerentscheid mündet -, ermöglicht nur volljährigen Bürgern eine Mitsprache auf kommunaler Ebene. Allerdings können sie dann, anders als in einer Petition, politische Pläne für einen begrenzten Zeitraum auch wirklich stoppen.

Das will zum Beispiel die Initiative "Gauting aktiv". Sie wehrt sich per Bürgerentscheid gehen die Höhe der geplanten Bebauung auf dem alten Grundschulgeländenahe dem Bahnhof. So weit wie die Gautinger, die das erforderliche Quorum bereits erfüllt haben, ist man in der Nachbargemeinde Krailling noch nicht. Hier wehren sich Bürger gegen die geplante Verlegung des Wochenmarktes und sind noch kräftig am Unterschriftensammeln. In Starnberg ist dies das alles schon passé. Hier werden die Bürger, was den Bau des B2-Tunnels angeht, vorerst nicht gehört. Zwar reichte die Zahl der Unterschriften locker aus. Allerdings hat nach der Stadt auch das Münchner Verwaltungsgericht kürzlich das Bürgerbegehren wegen seiner irreführenden Formulierung abgelehnt.

"Kurzfristige Beteiligungsformate sind symptomatisch für die Entwicklung unserer Demokratie", beobachtet Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, einen Trend. Bürger nutzten die Instrumente der politischen Partizipation - neben der Mitgliedschaft in einer Partei und Stimmabgabe bei einer Wahl das Mitwirken bei Bürgerentscheiden und Petitionen. Warum sich gerade im Landkreis Starnberg so viel tut, führt Münch auf eine "relativ aktive Bürgerschaft" zurück. Hier lebe ein gut situiertes Bürgertum mit vielen gebildeten Menschen. Seien sie vor der eigenen Haustür persönlich betroffen, steige der Grad der Mobilisierung. "Alles, was Interessen gebunden ist, läuft leichter", so Münch. Sich dabei für eine Sache einzusetzen, wie die Schüler in Kempfenhausen, ist nach Münchs Beobachtung eher die Ausnahme. In der Regel gehe es um Widerstand, Verhinderung: "Der Protest in Gauting gegen eine bestimmte Sache ist da typisch."

Die Wissenschaftlerin findet grundsätzlich "alles sinnvoll" an politischem Engagement, "solange die Leute sich nicht verkeilen, wie sie es in Starnberg tun". Dort haben Initiativen pro und contra Tunnel, die in den Stadtrat Eingang fanden, zu verhärteten Fronten geführt. Kritisch sieht Münch, wenn sich eine Distanz zu Parteien und Parlamenten, und sei es der örtliche Gemeinderat, verfestige, sie gar abgelehnt werden. "Das unterstellt, Politiker sind zu blöd und nur der Bürger hat die einzig richtige Lösung." Aber während jemand in einer Initiative "interessengelenkt" sei, müsse ein Gemeinderat Kompromisse finden, sich demokratisch einigen. "Es ist schwierig zu vermitteln, dass es nicht die beste Lösung gibt."

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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