Filmdebatte:Den Taliban getrotzt

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Beim Kinderfilmfest in Starnberg ist Davis Guggenheims Porträt über die pakistanische Bildungsaktivistin Malala Yousafzai zu sehen. Die Debatte nach der Vorstellung kommt kaum in Gang

Von Gerhard Summer, Starnberg

Malala Yousafzai ist elf, als sie mit dem BBC-Blog beginnt und in einer Art Tagebuch den Terror im Swat-Tal beschreibt, ihrer Heimat. Mit 15 überlebt sie ein Attentat: Zwei Taliban halten den Schulbus an, in dem sie und ihre Freundinnen sitzen. Drei Mädchen werden verletzt, eine der Kugeln dringt durch Malalas linke Schläfe und zertrümmert ihren Schädel. Sie wird zuerst in einem Militärkrankenhaus in Peschawar operiert, dann im Queen Elisabeth Hospital in Birmingham. Ihre linke Gesichtshälfte bleibt gelähmt. Sie lebt nun mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern in England. An ihrem 16. Geburtstag spricht sie vor der Jugendversammlung der UNO in New York. Sie sagt: "Ein Schüler, ein Lehrer, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern." Drei Monate später ist sie bei Präsident Barack Obama zu Gast. Und mit 17 erhält sie gemeinsam mit dem indischen Kinderrechtsaktivisten Kailash Satyarthi den Friedensnobelpreis.

Das alles klingt märchenhaft, und tatsächlich ist die inzwischen 18-jährige Frau, die jüngste Preisträgerin in der Geschichte des Friedensnobelpreises, längst stilisiert und dämonisiert worden. Im Westen gilt sie vielen als Heilige, als junge Mutter Theresa und als Auserwählte, die von ihrem Vater ganz zu Recht nach der Volksheldin Malalai benannt worden ist, die 1880 die Paschtunen in der Schlacht gegen britische Truppen angeführt hatte. In Pakistan ist die Euphorie umgeschlagen. Viele ihrer Landsleute sehen in ihr nur noch eine Marionette der USA, kritisieren ihre Vermarktung und den Umstand, das sie eigene PR-Berater hat. Das sei doch nur ein Mädchen ohne jede Ahnung, sagt einer in dem Porträt des amerikanischen Dokumentarfilmers Davis Guggenheim. Der Film "Malala - Ihr Recht auf Bildung" lief am Mittwoch beim Starnberger Kinderfilmfest, eine Debatte im Anschluss daran wollte aber nicht so recht in Gang kommen. Was womöglich auch für die Eindringlichkeit der künstlerischen Doku spricht.

Guggenheim versucht in seinem Porträt der jungen Aktivistin, die sich so vehement für das Recht auf Bildung einsetzt, beiden Seiten gerecht zu werden. Er nutzt Archivmaterial. Er lässt vor allem das Mädchen zu Wort kommen, das Malala eben auch ist. Die Schwester, die im Armdrücken gewinnt, oder dem kleinen Bruder schon mal eine Ohrfeige gibt, einen Klapps, wie sie meint. Die Schwärmerin, die "süchtig ist nach Büchern", ein Faible für fesche Cricketspieler und den Tennisprofi Roger Federer hat. Er zeigt sie bei Auftritten mit syrischen Flüchtlingen, bei Begegnungen mit Rockstars wie Bono, mit Queen Elizabeth und Obama. Und er setzt auf animierte Zeichnungen, um die Erinnerungen von Malala und ihrem Vater, dem Lehrer Ziauddin Yousafzai, zu illustrieren. Was dem Ganzen eine Anmutung von 1001-Nacht gibt. Natürlich geht Guggenheim auch der Frage nach, ob Yousafzai seine Tochter in diese Rolle gedrängt hat. Ist es also Malala, die so unglaublich mutig die Greuel der Taliban anprangert, oder spricht da Ziauddin? Der Mann mit dem gütigen Lächeln, der sich ebenfalls gegen die Terrororganisation gewandt und sein Leben riskiert hatte? Letztlich ist die Antwort darauf vielleicht gar nicht so wichtig, denn Malalas Botschaft bleibt schlicht wahr: Auch Mädchen haben ein Recht auf Bildung, denn Bildung ist die einzige Waffe, die den Taliban gefährlich werden kann.

Es gibt viele beeindruckende Szenen in diesem Film, der mehr Hagiographie ist als distanzierte Annäherung. Die einen handeln vom Regime der Taliban, die 2007 in ein Paradies eingedrungen sind. Ihnen geht es um Macht, nicht um Religion. Sie verbrennen Fernsehgeräte, CDs und Videos, sprengen Schulen in die Luft, nennen in Radio-Botschaften die Namen der Pakistani in Swat-Tal, die sich angeblich religiös danebenbenommen haben, und schicken ihre Mörder los.

Die anderen zeigen ein Mädchen, das auch im Gespräch mit Präsidenten ohne Umschweife auf die Themen zu sprechen kommt, die wichtig sind. Eine Zuschauerin sagte nach der Vorstellung, sie habe vor allem beeindruckt, wie ungebrochen der Mut des Mädchens sei und wie sehr sie mit dem Herzen spreche.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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