Engagement:"Wir sind keine grünen Spinner"

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Hanna Weber ist überzeugt, dass ein Dorfladen in Steinebach erfolgreich laufen kann. (Foto: Nila Thiel)

Eine Gruppe Wörthseer engagiert sich für einen Dorfladen in Steinebach. Hanna Weber ist von Anfang an dabei, weiß um die Schwierigkeiten, aber auch um die Chancen dieses Projekts

Interview von Christine Setzwein, Wörthsee

Ein Dorfladen für Wörthsee, diesem Projekt hat sich Hanna Weber verschrieben. Die 62-Jährige ist gelernte Erzieherin, hat dann noch spät Sozialpädagogik studiert. Den Masterstudiengang mit dem Schwerpunkt "Wohnen in Nachbarschaften" beendete sie 2015. Mit sozialer Stadtentwicklung hat sich Weber, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und bald Oma, also intensiv befasst.

SZ: Im Frühjahr 2014 haben Sie sich mit anderen auf den Weg zu einem Dorfladen in Wörthsee gemacht. Wie geht es Ihnen heute?

Hanna Weber: Es gab zwischendurch einige Durststrecken, und ich habe mich öfter gefragt: Ist die Sache diesen Aufwand wirklich wert? Aber es gab immer jemand, der motiviert und gesagt hat, das ist eine gute Sache, wir machen weiter. Also, nach zweidreiviertel Jahren sage ich: Ja, es hat sich gelohnt, und wir sind schon ein bisschen stolz, dass wir so lange durchgehalten haben. Unsere Unternehmergesellschaft hat mittlerweile 204 Mitglieder, und es können immer noch Anteile gezeichnet werden.

Wie schaut's aktuell aus beim Dorfladen-Projekt?

Jetzt ist gerade eine ganz aufregende Zeit, weil es nun wirklich konkret wird. Wir haben einen Architekten für den Umbau der Sparkassenräume, müssen Angebote einholen, den Antrag für eine Nutzungsänderung vorbereiten. Richtig arbeiten dürfen wir aber erst, wenn Leader das Okay gegeben hat, sonst verlieren wir die Fördermittel.

Beim Notar waren Sie aber schon.

Ja, wir sind jetzt eine UG in Gründung. Nach dem Eintrag im Handelsregister werden wir von Mitte Januar an dann auch die Anteile einziehen. Mit der Kreissparkasse schließen wir bis zur Leader-Genehmigung einen Vorab-Mietvertrag. Der endgültige wird unterschrieben, wenn die UG gegründet ist, sonst bin ich in persönlicher Haftung. Mit dem Umbau könnten wir eigentlich beginnen, weil wir die Kosten dafür aus dem Businessplan herausgenommen haben. Damit sind sie eigentlich nicht Teil des Leader-Zuschusses. Aber das will Leader zuerst überprüfen.

Sie fungieren zusammen mit Susi Biskup und Manfred Schamper als Gesellschafter der künftigen "Dorfladen Wörthsee UG". Ist Ihnen nicht bange vor dieser Verantwortung? Müssen Sie persönlich haften, wenn etwas schief geht?

Nein, die UG ist ja haftungsbeschränkt, sonst könnte ich nicht mehr schlafen. Ich muss natürlich erkennen, wenn etwas aus dem Ruder läuft und rechtzeitig die Bremse ziehen.

Warum kämpfen Sie so für einen Dorfladen?

2014 habe ich immer wieder Frauen aus der Nachbarschaft getroffen, die sich beschwert haben, dass man in Wörthsee nirgends richtig einkaufen kann, dass man sich nicht mal auf einen Kaffee treffen kann, dass ein Dorfladen doch schön wäre. Das hab ich mir eine Zeitlang angehört und mir dann gedacht, wenn das Bedürfnis da ist, warum fängt nicht einfach jemand an. Von dieser ersten Gruppe ist noch die eine oder andere Engagierte mehr oder weniger aktiv dabei, aber es kamen neue Wörthseer dazu, die bis heute geblieben sind und das Dorfladenprojekt durchziehen. Das sind wichtige Motivatoren.

Sie sprechen von Motivatoren. Diejenigen, die der Sache nicht so wohl gesonnen sind, sagen "grüne Spinner".

Ich weiß. Wie sind keine grünen Spinner. Ich bin keine Grüne, ich bin eine Naturliebhaberin, vielleicht eine Idealistin. Aber warum nicht? Solche Menschen muss es geben. In der Welt hat sich manches verändert, weil es sogenannte Spinner gibt. Damit kann ich leben.

Manchen, die am Anfang ganz begeistert waren von der Idee eines Dorfladens, geht es viel zu langsam.

Auch damit muss man leben. Wenn man selber in der Materie drin ist, weiß man, dass bestimmte Sachen sehr zäh voran gehen und lange dauern. Wir waren alle berufstätig, haben alles ehrenamtlich gemacht. Wir mussten uns in Bereiche einarbeiten, von denen wir keine Ahnung hatten. Zum Beispiel die EU-Förderung. Das ist ein irrsinnig langes Kapitel, das nie endet. Immer wieder kommt noch etwas dazu, was nachgereicht werden muss. Ich weiß, was wir geschafft haben. Wir liegen ungefähr bei 2000 ehrenamtlichen Stunden. Und die gehen von der Freizeit weg. Solche Vorwürfe kann nur jemand machen, der so etwas noch nie durchgezogen hat.

Nicht wenige Wörthseer sind der Meinung, dass es keinen Dorfladen braucht, der mache nur die anderen kleinen Läden kaputt. Was meinen Sie?

Das sehe ich überhaupt nicht so. Wir nehmen Rücksicht auf die anderen kleinen Läden, die da sind. Wie verkaufen zum Beispiel keine Zeitschriften oder Büroartikel. Mit dem Schreibwarengeschäft "Dein Laden" werden wir uns so arrangieren, dass er uns Zeitungen und Zeitschriften für das Café liefert. Das schafft uns wieder Fläche, die wir anderweitig nutzen können. Noch schöner wäre es natürlich, wenn wir näher beieinander wären.

Und was ist mit dem Obst- und Gemüsegeschäft von Mosafer Saeed in unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Dorfladen?

Für ihn ist es eher eine Chance als eine Gefahr. Aber auch er muss flexibel und beweglich sein, sich etwas zu seinem Konzept überlegen, um sich den Gesellschafts- und Dorfentwicklungsprozessen anzupassen. Das können wir nicht für ihn richten, das muss er schon selbst tun. Wenn er Produkte anbietet, die wir nicht haben, gehen die Leute doch zu uns und zu ihm. Ich glaube nicht, dass wir ein Problem für den bestehenden Einzelhandel sind. Der muss sich eher vor einem neuen Supermarkt fürchten.

Sie wollen vor allem auf regionale Produkte setzen.

Ja, auf alle Fälle. Die Bäcker und Metzger werden hier aus der Gegend sein. Wir werden eine Frischetheke haben mit regionalen Fleisch- und Wurstwaren. Wir wollen wissen, wie die Tiere gehalten und großgezogen werden. Aber die Produkte müssen kein Biozertifikat haben, weil sich kleine Betriebe das überhaupt nicht leisten können. Wir haben Anfragen von einem regionalen Honighersteller, eine Bewerberin, die selbstgebackene Kuchen liefern will, die Wörthseer Brauer wollen bei uns verkaufen. Das ist das Schöne an einem Dorfladen: Er kann Plattform sein für Neulinge, die etwas produzieren und mit ihrem Produkt wachsen wollen. Durch den Dorfladen können sie bekannt werden. Das alles sind Dinge, die wichtig sind, um uns auch neben einem Supermarkt zu behaupten. Das unterscheidet uns von den Großen.

Steht schon fest, wer Fleisch und Brot liefert?

Nein, wir haben Interessenten, aber noch nicht ausgewählt. Das ist beim Metzger einfacher als beim Bäcker. Das sind die Aufgaben für die Arbeitsgruppen, die wir gegründet haben. Eine Gruppe kümmert sich um die Lieferanten. Wir brauchen ja auch größere Anbieter, zum Beispiel für Toilettenpapier, Waschmittel und ähnliches.

Und Sie brauchen Personal.

Das Spannende ist, dass wir jetzt schon viele Anfragen von Leuten haben, die im Dorfladen mitarbeiten wollen. Ein Barista hat angefragt, ein junger Einzelhandelskaufmann hat sich beworben. Und bevor die Gerüchteküche wieder brodelt: Auch ich habe mich beworben als sozialer Kopf des Ganzen. Ich würde mich um die Kommunikation kümmern, etwa die Arbeit mit den unterschiedlichen Gruppen wie Kindergärten oder Senioren anleiern, die zu uns in den Dorfladen kommen wollen.

Dass der Dorfladen ein echter Treffpunkt wird, ist Ihnen wohl sehr wichtig.

Ja. Die Gesellschaft verändert sich. Viele Familien ziehen aus der Stadt aufs Land, wo sie niemanden kennen. Auf der anderen Seite haben wir zahlreiche ältere Menschen, die nach dem Auszug der Kinder alleine wohnen. Die Großfamilien gibt es fast nicht mehr. Es braucht eine Anlaufstelle für soziale Netzwerke. Unser Dorfladen soll so eine Anlaufstelle werden. Die Leute sollen wissen, sie müssen nicht alleine zu Hause sitzen, sie treffen im Dorfladen-Café andere Menschen. Es soll ein Zentrum werden, wo sich Menschen kennenlernen und sich vielleicht neue Bekanntschaften oder neue Dinge entwickeln können.

Hört sich schon toll an, aber der Laden muss ja auch verkaufen.

Das wird er auch. Wir werden ein Vollsortimenter. Aber wir werden nicht 50 verschiedene Schokoladen haben, sondern vielleicht nur vier. Wir werden immer ein günstiges Angebot haben und ein teureres, bei dem man sagt, das leiste ich mir jetzt einfach mal.

I m Gesellschaftervertrag steht, die Gründung der UG erfolge aus rein ideellen und keinen eigenen wirtschaftlichen Interessen. Also keine Gewinnmaximierung?

Nein. Der Laden muss sich tragen und irgendwann so viel erwirtschaften, dass die Anteilseigner auch etwas davon haben. Die ersten ein, zwei Jahre fließt der Gewinn, so es einen gibt, in die Rücklagen, falls wir neue Gerätschaften etc. anschaffen müssen. Wir starten ja mit gebrauchtem Inventar.

Wie viel Personal brauchen Sie?

Wissen wir noch nicht genau. Der Laden in Habach hat zwischen zehn und 15 Leute, davon ein oder zwei Festangestellte. Wir müssen schauen, wie der Laden läuft.

Gerade in einem kleinen Laden ist es wichtig, aufmerksames, freundliches Personal zu haben. Haben Sie da ein Auge drauf?

Die Leute, die sich beworben haben, sind alle sehr nett, da merkt man, die haben Lust auf den Dorfladen. Das ist ganz wichtig, genau so wichtig wie das Sortiment. Wir starten mit einem Sortiment, das sicher noch ausbaufähig ist. Da muss man genau hinhören, was die Leute bauchen und wollen. Da muss man auf Zack sein und Anregungen erkennen und umsetzen.

Sie wollen auch besondere Serviceleistungen anbieten. Welche?

Lebensmittel nach Hause bringen, ist einfach. Aber gerade die älteren Menschen sitzen dann nur noch zu Hause. Schöner wäre es, wenn sie zu uns in den Laden kommen, einkaufen, und wir liefern ihnen die Sachen nach Hause. Wenn sie nicht mehr so gut zu Fuß sind, könnte man sie abholen, beim Einkauf begleiten, sie können noch eine Tasse Kaffee trinken und dann werden sie wieder nach Hause gebracht.

I mmer wieder ist die Rede vom geänderten Einkaufsverhalten. Die Leute finden einen Dorfladen ganz nett, kaufen aber dann doch beim Discounter ein, ernähren sich vorwiegend von Fertigpizza statt von frisch gekochtem Gemüse.

Leider. Fast Food hat viel zu viele Anhänger. Aber vielleicht werden die Leute doch hellhörig, wenn sie Allergien und Unverträglichkeiten entwickeln. Vielleicht überlegen sie dann, ob das nicht doch mit der Ernährung zu tun hat. Je mehr Fertigprodukte, desto mehr Zusatzstoffe nehme ich zu mir. Wir werden versuchen, durch Aktionen für das Thema zu sensibilisieren.

Und wie wird der Dorfladen heißen? Fünf Vorschläge sind in der engeren Wahl.

Ja, es sind: Dorfladen, Unser Dorfladen, WEZ (Wörthsee-Einkaufszentrum), Wir - Laden & Café und Steinebacher Dorfladen. Die Vorschläge liegen bei einem Werbebüro und müssen auch auf Rechte geprüft werden.

Auf der jüngsten Gesellschafter-Versammlung sprachen Sie auch von der Dorfatmosphäre, die der Dorfladen bieten will. Klingt irgendwie sehr romantisch.

Ich sag' ja, ich bin eine Idealistin. Ich muss an etwas glauben, wenn ich so ein Projekt anstoße. Ich werde oft gefragt, ob wir wirklich ein Café eröffnen wollen, wo man Leute trifft und gemütlich etwas trinken und essen kann. Wenn das romantisch ist, dann bin ich es gerne.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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